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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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vollendete Winnie den Satz. » Und ein Kaninchen. Und den Kaninchenstall.«
    » Exakt.« Er nickte und sah auf die Armbanduhr. » Und außerdem haben wir beide viel zu viel Zeit verloren. Wir sollten besser los. Deine Mutter macht sich garantiert schon furchtbare Sorgen. Es ist nach vier.«
    Winnie zuckte mit den Schultern. » Die ist bestimmt noch nicht zu Hause. Die kommt nie pünktlich nach Hause, obwohl sie es immer verspricht.«
    » Aber sie wird versuchen, dich anzurufen. Und wenn sie dich zu Hause nicht erreicht, weiß sie nicht, wo du bist.«
    » Okay.« Winnie hob das graue Kaninchen hoch, indem er seine Hände unter seine Vorderläufe klemmte und rieb seine Wange über das weiche Kaninchenfell. » Sag mir nur noch eine Sache, die du verloren hast, dann sag ich dir auch eine. Die ist ziemlich schlimm. Fast so schlimm wie deine Hand.«
    Der Mann sah den kleinen Jungen an seinem Küchentisch an. Dann strich er sich über den Mund und straffte sich. » Okay, ich sage es dir. Aber auch nur, weil wir Freunde sind: Ich habe meinen kleinen Bruder verloren.«
    » Was?« Auf Winnies Armen bildete sich Gänsehaut. » Wo hast du ihn verloren?«
    Der Mann rückte näher mit dem Stuhl an den Tisch und senkte seine Stimme ab. » Pass auf. Ich erzähle es dir im Vertrauen. Weißt du, was das heißt– im Vertrauen?«
    Winnie lächelte. » Dass ich es niemandem sagen soll.«
    » Richtig.« Er nickte und lächelte nun auch. » Außer uns beiden wissen dann nicht sehr viele Leute darüber Bescheid . Ve rstehst du? Denn das ist eine ziemlich schlimme Sache.«
    Winnie bekam riesige Augen. Er zwinkerte. » Und dann?«
    Der Mann flüsterte fast: » Im Sommer vor fünfundzwanzig Jahren ist er mit ein paar jungen Leuten oben auf dem Plateau schwimmen gegangen. Er hatte das Gewehr unseres Vaters dabei, obwohl er das nicht durfte.«
    » Hä?« Winnie drückte das Kaninchen enger an seine Brust, weil es etwas unruhig wurde. » Warum hat er das gemacht? War er dumm?«
    » Nein, ganz im Gegenteil.« Mit einem Mal sah der Mann unendlich traurig aus, sodass er Winnie auf der Stelle leid tat. » Gero war eigentlich ganz vernünftig. Ab und zu vielleicht ein wenig leichtsinnig. Aber normalerweise hat er nie etwas getan, was er nicht durfte. Aber sie haben ihn wohl dazu überredet, es mitzunehmen.«
    » Wer?« Winnies Augen waren so groß wie Teller.
    » Die jungen Leute. Sie wollten wohl ein bisschen herumballern. Auf Konservendosen oder so.«
    » Und was ist dann passiert?«
    Plötzlich stand er auf. » Das erzähle ich dir beim nächsten Mal.« Mit einem Seufzer zog er sich seine Jacke an, die über dem Küchenstuhl hing, und streckte Winnie seine gesunde Hand entgegen. » Komm.«
    Vorsichtig erhob sich Winnie und drückte das verängstigte Kaninchen fest an sich, damit es ihm nicht wegrutschte. » Haben die jungen Leute deinen Bruder erschossen?«
    » Nein, nicht direkt.«
    Winnie lief hinter dem Mann her, durch den Flur, aus dem Haus, über den Platz, hin zum großen Auto, in dessen Kofferraum schon der große Kaninchenstall stand. Er machte ihm die Hintertür auf, sodass Winnie auf die Rückbank krabbeln konnte. » Hat dein Bruder die jungen Leute erschossen?«
    Er klickte den Anschnallgurt fest. Dann sah er Winnie aus seinen dunklen Augen liebevoll an. » Weißt du was? Auch wenn du ein bisschen jünger als mein Bruder bist, als er starb, erinnerst du mich unheimlich an ihn. Unheimlich!«
    Er zog sich aus dem Wageninneren zurück, strich noch einmal über Winnies Haar und schlug die hintere Wagentür zu, um vorne einzusteigen.
    Auf Winnies Schoß trat das Kaninchen ängstlich mit seinen Hinterläufen aus, sodass Winnie es mit beiden Händen rasch nach unten drücken musste. Er flüsterte ganz nah an seinem langen, weichen Ohr. » Es ist alles gut, Fiffi. Wir fahren jetzt nach Haus.«

51 . MAYA
    Maya preschte, mit dem Rehbock auf den Schultern, durchs Unterholz. Sie spürte nicht, wie ihre Haare an den Zweigen hängen blieben und die dornigen Himbeersträucher ihr die Beine zerkratzten. Plötzlich hatte sie Angst. Sie wollte so schnell wie möglich zur Höhle zurück. Sie stürzte den laubbedeckten Abhang hinunter, stolperte über Wurzeln und lose Steine. Sie schlug hin, rappelte sich wieder auf und sprang weiter, während ihr der Bogen in die Kniekehlen schlug und sie die Vorder- und Hinterläufe des Tieres fest umklammerte. Mit einem Mal befürchtete sie, Louis könnte längst da gewesen und schließlich wieder verschwunden sein,

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