Der Atem der Angst (German Edition)
du dich über mich und meine verkrüppelte Hand lustig gemacht hast.« Leider brach es nun doch aus ihm heraus, obwohl er sich vorgenommen hatte, unter allen Umständen sachlich zu bleiben. Solange hatte er sich diesen Moment vorgestellt, ihn herbeigesehnt. Und nun war er da, und er schaffte es nicht, gelassen zu bleiben. Er ging einen Schritt auf sie zu. » Dich hat es damals einen feuchten Dreck interessiert, dass ich gerade meinen kleinen Bruder verloren hatte. Dir ging es schon damals nur darum, dich auf meine Kosten wichtig zu machen.«
Heidi atmete aus. » Es reicht. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.«
» Ach ja? Bist du dir da ganz sicher?« Er leckte sich über die Lippen. » Du hältst dich wohl für besonders schlau. So schlau, dass du einige wichtige Details übersiehst. Du denkst zu kompliziert. Dabei liegt die Wahrheit ganz klar und offen vor dir. Du müsstest nur hinsehen.«
Heidis Nasenflügel bebten vor Wut. Genau wie früher. Sobald sie jemand korrigiert oder kritisiert hatte, war sie durchgedreht. Daran hatte sich offenbar nichts geändert. Sie war also kein bisschen weiser geworden. Mit einem belustigten Lächeln drehte er sich um und trat ins Haus ein. Wenn er sie richtig einschätzte, würde sie genau das tun, was er von ihr wollte.
» Bleiben Sie stehen!«
» Wozu? Das ist mein Haus und ich hole meine Jacke.« Zügig durchquerte er den Vorraum.
» Ich habe gesagt: Bleiben Sie stehen!«
Kurz drehte er sich um. Heidi war ihm gefolgt. Sie hatte ihre Waffe gezogen und hielt sie mit beiden Händen auf ihn gerichtet. » Findest du dein Polizeigehabe nicht ein bisschen übertrieben?« Er ging weiter in die Küche. Sie folgte ihm, mit gezogener Waffe, die direkt auf seinen Rücken zielte.
» Verdammt noch mal! Bleiben Sie…!«
» Du wirst mich kaum von hinten erschießen.« Er nahm seine Jacke, die über einem der Küchenstühle hing. » Das wäre Mord, oder nicht?«
Im Augenwinkel sah er, wie Heidi ihren langen Spargeltarzankollegen mit einem hektischen Kopfnicken auf die schlaffe Orchidee hinter der Küchentür hinwies. » Sicherstellen!«
Der Mann gab die Anweisung unverzüglich an seine Kollegen weiter, die angerannt kamen, um die Blume in einen durchsichtigen Plastikbeutel zu stecken, dann aber sicherheitshalber doch an der Tür stehen blieben.
Langsam drehte er sich zu Heidi um und zog sich seine Jacke an. Dabei blickte er sie freundlich an. » Wenn du einen Tipp von mir willst: Du solltest besser auf deinen Sohn aufpassen.«
59 . MAYA
» Und nun?« Maya hockte in der Mittagssonne neben Louis auf den Bierfässern, die auf dem Hinterhof der Billardkneipe standen. Verdeckt von einem überfüllten, nach Essensresten stinkenden Müllcontainer und einem Lieferwagen, wollten sie kurz verschnaufen. Es war seltsam, sich am helllichten Tag hier unten in St. Golden aufzuhalten. Von außen mussten sie wie zwei ganz normale Teenager wirken, mal abgesehen von Louis demoliertem Gesicht. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um die Blutung in der Nase zu stoppen. Da er nicht mehr als ein genervtes Röcheln von sich gab, fuhr sie fort: » Also, jetzt wissen wir zumindest schon mal mit Sicherheit, dass der Karohemdjunge auf den Fotos der Sohn vom Sägewerker ist.«
» Und dass er gestorben ist, kurz nachdem die Fotos aufgenommen wurden«, antwortete Louis.
» Bringt uns das irgendwie weiter?«
» Nicht wirklich.« Louis richtete sich auf und zwinkerte ein paar Mal mit den Augen. Er klang, als hätte er Schnupfen. » Jetzt wissen wir noch weniger als zuvor.«
Maya sah ihn irritiert an, voll darauf konzentriert, sich nicht anmerken zu lassen, dass seine Nase einen ziemlich gebrochenen Eindruck machte. » Wie meinst du das?«
» Na ja.« Louis wischte mit seinem Jackenärmel unter seiner geschwollenen Nase entlang. » Die Frage ist ja, ob sein Tod überhaupt etwas mit der Clique zu tun hatte oder nicht. Kann ja sein, er wurde auch nur zufällig von einem Baum erschlagen oder so.«
Maya warf Louis einen mitleidigen Blick zu, unter dessen Augen sich dunkellila Blutergüsse gebildet hatten. » Oder aber er musste sterben, weil er wusste, wer aus der Clique das Mädchen oben am Badesee erschossen hatte.«
» Wenn überhaupt einer aus der Clique das Mädchen erschossen hat.« Louis betastete vorsichtig seinen demolierten Nasenrücken. » Nicht mal das wissen wir mit Gewissheit.«
» Wie meinst du das?« Maya runzelte die Stirn. Warum hatte sie auf einmal das Gefühl, dass Louis nicht
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