Der Atem der Apokalypse (German Edition)
seinen eigenen Ohren total bescheuert an.
»Egal, vielleicht hatte ich nur eine Halluzination.« Er drehte sich wieder um und hob zum Abschied die Hand. »Schöne Grüße an Cass. Ich verlasse für eine Weile das Land. Ich melde mich, wenn ich wieder da bin.«
Er ließ ihnen nicht genug Zeit, um Fragen zu stellen. In seinem Bauch rumorte es wie in einer Schlangengrube, ein klares Zeichen dafür, dass er so schnell wie möglich verschwinden musste. Und wenn er klug war, hörte er darauf.
32
Es gibt Zeiten im Leben, in denen nur noch Frechheit hilft, um zu bekommen, was man haben will. Als Cass mit gesenktem Kopf, doch sicheren Schrittes auf den Empfang im Charing Cross Hospital zuging, hoffte er auf zwei Sachen: dass die Rezeptionistin schon mit einem Kriminellen in ihrem Krankenhaus überfordert war, und dass die Dienstmarke den meisten Leuten völlig reichte. Er schenkte der Frau ein knappes Lächeln und hielt die Dienstmarke hoch, einen Finger leicht über dem Namen, doch so, dass sie das Foto gut erkennen konnte.
»Ich komme von Paddington Green«, sagte er ruhig. »Besuch für Toby Armstrong.«
»Dritter Stock.« Sie sah kaum von ihrem Computer auf. »Gehen Sie zu der Schwester dahinten.« Sie nickte in Richtung eines weiteren Tresens. »Sie gibt Ihnen Mundschutz, Kittel und Handschuhe. Sie können sich auf der Toilette direkt an der Treppe umziehen. Achten Sie darauf, dass sie sie in den einschlägig markierten Mülleimern entsorgen. Die Kittel werden gewaschen, aber Handschuhe und Mundschutz werden vernichtet. Hier, für Sie.« Sie reichte ihm ein Ausweisschild aus Plastik. »Stecken Sie Ihren Ausweis darein und sorgen Sie dafür, dass man ihn gut lesen kann. Wir wollen nicht, dass Sie mit dem Pflegepersonal verwechselt werden.«
Als Cass das Schild entgegennahm, lächelte sie höflich. »Danke.«
Die Frau am nächsten Tresen musterte seinen Ausweis etwas schärfer, doch nicht, als hätte sie Verdacht geschöpft. Sie lächelte erschöpft, als sie ihm die Sachen reichte. »Seien Sie bitte nicht zu laut, ja? Die Patienten sind sehr krank, sie brauchen wirklich ihre Ruhe.«
»Ich tue mein Bestes«, sagte er und lächelte zurück. Er fühlte sich nicht bemüßigt zu sagen, dass sie alle bald genug Ruhe haben würden und deshalb sicher so lange wie möglich wach bleiben wollten. Außerdem, was wusste er schon von der Hölle, die sie durchlitten? Vielleicht war Schlaf ja erholsam genug – aber nein, das war unwahrscheinlich; er stellte sich vor, dass der Schlaf der Strain- II -Patienten mit Albträumen vom Tod und dem darauffolgenden Nichts erfüllt war.
Auf der Toilette schloss er sich ein und zog den grünen Kittel über. Er zupfte den Mundschutz zurecht, bevor er die Haube aufsetzte und seine längeren Haare darunter schob. Das Plastikschild behielt er lieber in der Tasche. Er betrachtete sich im Spiegel, ließ die Schultern nach vorne fallen und gab seinem Blick einen weicheren Anstrich. Das musste reichen. Cass verließ die Toilette und machte sich in Dr. Cromers präzisem Gang auf den Weg, den er in der vergangenen Nacht geübt hatte, um Luke zu retten. Wenn ihm nicht gerade jemand direkt in die Augen sah, erkannte ihn bestimmt niemand. Hoffte er zumindest.
Mit einer ruhigen Atmosphäre hatte er gerechnet, aber diese Stille auf der dritten Etage war so viel mehr: die leise Sekunde vor dem letzten Atemzug, der schwebende Moment zwischen dem letzten Einatmen und dem Loslassen, die erwartungsvolle zitternde Ruhe, wie sie im Angesicht des Todes herrschte. In der Stille spürte man Respekt und mehr als ein wenig Angst.
Zwei Polizisten unterhielten sich leise an der Tür, als sie ihre Masken und Handschuhe auszogen. Sie freuten sich sichtlich, das Krankenhaus verlassen und in die kalte Dezemberluft zurückkehren zu können. Sie würdigten Cass keines Blickes, als sie an ihm vorbeigingen. Er spähte durch die Glasscheibe einer Tür zu seiner Linken. In dem Raum hatte ein Mann Ende Fünfzig den Arm um eine Frau gleichen Alters gelegt. Er starrte ausdruckslos an eine Wand, während sie leise an seiner Schulter weinte. Cass fragte sich, ob sie die Berührung überhaupt noch wahrnahmen. Sie waren verloren angesichts einer Zukunft, die kein Glück mehr für sie bereithielt. Toby Armstrongs Eltern gehörten so eindeutig zur absolut normalen Mittelschicht, dass sie Cass unendlich leidtaten. Ihr Sohn hatte das Todesurteil erhalten und jetzt hingen sie zwischen Leben und Tod. Sie konnten nichts tun, sie konnten
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