Der Atem der Apokalypse (German Edition)
sich nur noch zusammenreißen und verabschieden. Einige Sitze entfernt hielt eine junge Polizistin respektvoll Abstand und trank Kaffee aus einem Styroporbecher.
Cass wollte sie in ihrem Kummer nicht stören. Obwohl genug Adrenalin durch seinen Körper jagte, war er wie betäubt. Bis zu diesem Augenblick hatte er irgendwie noch geglaubt, dass er Armstrong auf dieser Station nicht finden würde und dass der Angriff des Todesengels doch keine Ansteckung zur Folge gehabt hatte. Doch so viel Glück hatte Armstrong nicht gehabt. Cass’ alter Zynismus ergriff Besitz von ihm, als er durch die Station lief. Glück gab es gar nicht. Armstrongs Entscheidungen hatten ihn hierhergebracht: die Entscheidung, ohne Verstärkung in den Club zu gehen, und wahrscheinlich einige Entscheidungen im Vorlauf der Geschichte. Es lag immer an den eigenen Entscheidungen, wenn etwas schiefging.
Cass blieb am Fußende eines Bettes stehen und tat so, als würde er die Krankenkarte des Mannes darin studieren. Eine Krankenschwester lief an ihm vorbei, ohne ihn anzusprechen, und weiter zum Schwesternzimmer am Eingang. Während er die Papiere durchblätterte, sah er sich um. Am anderen Ende des Flurs gab es noch mehr Privatzimmer; dort lagen wahrscheinlich Armstrong und Craven.
Zwei Kittelträger standen am Wasserspender, obwohl keiner von beiden aussah, als wollte er etwas trinken. Anscheinend war das die abkommandierte Polizeiüberwachung, und mehr auch nicht. Hätte der Todesengel Krebs, würde es hier von Bullen nur so wimmeln, damit niemand hereinkommen und den Verdächtigen angreifen konnte, aber das war in diesem Fall wirklich nicht nötig. Wer würde schon freiwillig einen Fuß in eine Strain- II -Station setzen, geschweige denn dem Mörder zu nahe kommen? Die Polizisten waren anscheinend auch nicht allzu scharf darauf und weder der DCI noch der Commissioner konnte unter diesen Bedingungen einen ihrer Leute dazu zwingen.
Im Gegensatz zu seinem Vorläufer, dem harmloseren HIV , war die leichte Ansteckung mit Strain II – durch Niesen, einen inhalierten Speicheltropfen, einen einzigen Blutstropfen – bereits zu einem Mythos geworden. Wenn das stimmte, dachte Cass, müssten inzwischen alle den Virus haben, doch er konnte nicht leugnen, dass ihm neben der Angst, geschnappt zu werden, im Angesicht von so viel ansteckendem Tod die Nerven durchgingen.
Als vor ihm eine Tür geöffnet wurde, kamen zwei Männer heraus, die er sofort erkannte. Tim Hasks äußere Erscheinung war unverwechselbar, seine Fettleibigkeit ein harter Kontrast zu den skelettartigen Kranken. Der große Mann, mit dem er sich unterhielt, war natürlich Ramsey. Sie schlossen die Tür und nickten den beiden Polizisten am Wasserspender zu, ehe sie in einem Nebenraum verschwanden.
Das war die Gelegenheit für Cass. Der schlafende Patient in dem Bett vor ihm – dessen Züge bereits so eingefallen waren, dass er nicht hätte sagen können, ob es eine Frau oder ein Mann war – holte mühsam über eine Sauerstoffmaske Luft. Cass nahm eine Schale und einen Pappbecher mit Wasser vom Nachttisch und ging lässig auf das Zimmer zu, das Hask und Ramsey gerade verlassen hatten. Sein Herz schlug so laut, dass er dachte, die Krankenschwestern müssten es noch am Empfang hören, und hinter seinem Mundschutz waren seine Wangen feucht von seinem keuchenden Atem.
Er erkannte keinen der beiden Polizisten, die so locker die beiden Krankenzimmer bewachten, und nickte ihnen flüchtig zu. Einer musterte die Gegenstände, die er in der Hand hielt, und redete dann weiter. Obwohl Cass geschockt war, Hask und Ramsey hier anzutreffen, war es eigentlich ein Segen, denn normalerweise fühlten sich die Menschen in Gegenwart ihrer Vorgesetzten weniger verantwortlich, und die beiden hier machten keine Ausnahme.
Das kleine Privatzimmer war nur trübe beleuchtet, aber es war hier so warm wie auf der ganzen Station. Armstrong hatte die Augen geschlossen und hing am Tropf. Was war das? Ein Beruhigungsmittel? Es konnten doch noch keine Schmerzmittel sein, oder? Doch aus der Nähe sah Toby Armstrong entsetzlich bleich aus, sogar im goldenen Schein der Bettlampen. Der Sergeant hatte schon abgenommen – Cass wusste, dass Strain II aggressiver war als HIV , aber so schnell? Egal, was Craven seinen Opfern verpasste, es beschleunigte die Krankheit. Er erinnerte sich daran, wie Solomon gestorben war – von einem natürlichen Tod war das weit entfernt gewesen. Glich Craven also Solomon und Bright? Waren
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