Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Escobars barscher Stimme.
Genau, und das war das Schlechte an der Heimat:
Er
war da.
»Ach, wir beschäftigen uns mit
Ihm
, wenn es so weit ist.«
Mr Dublin lächelte. Er musste sich aufheitern, bevor Mr Escobar wieder ging. »Ich habe noch etwas für Sie.« Er reichte ihm einen Gegenstand, der an einer dünnen Kette baumelte, die er dem gescheiterten Mr Bellew über den Kopf gezogen hatte. »Halten Sie es in Ehren. Es ist unsere Geschichte.« Er lächelte. »Willkommen im Inneren Zirkel.«
15
Dr. Cornell hatte zwei Nächte nicht geschlafen, seit Alan Jones’ Junge aufgetaucht war. Obwohl sein Verstand fieberhaft fantasierte, wusste er, dass ein Mann seines Alters sich ausruhen musste – so lange durfte niemand aufbleiben, egal wie alt er war. Da er so unglaublich müde war, krochen die Schatten an den Rand seiner Gedanken und der Dämon Paranoia, der immer
irgendwo
lauerte, wie er genau wusste, hatte die Zügel in der Hand, gemeinsam mit seinen Freunden Angst und Zweifel.
In den langen Stunden hatte er versucht, seine Papierstapel zu ordnen und bei Verstand zu bleiben. Mittendrin weinte er ein wenig. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob sie ihm etwas ins Leitungswasser mischten, damit er sich immer weiter in seine Verwirrung hineinsteigerte – LSD vielleicht? Nein, so einfach machten sie es sich nicht. Er konnte sich gar nicht vorstellen, welche Art Drogen
sie
zur Verfügung hatten.
Er hatte in der Zeit zwischen tiefster Nacht und Morgendämmerung ungefähr eine Stunde in seinem Schreibtischstuhl gedöst, als er ruckartig aufwachte – und sich fühlte, als wenn er von irgendwo in seinen Körper zurückkehrte. Die Vorstellung, dass er seinen Körper und seine gesammelten ungeschützten Informationen verlassen könnte, verstörte ihn zutiefst. Und wenn er nun nicht mehr in seinen Körper zurückkehren konnte? Was dann?
Er trank langsam seinen Kaffee und sah auf seine knorrige alternde Hand hinab, die er nicht als seine erkannte. Die Zeit verging so schnell. Einen seligen Augenblick verstummten die Dämonen und er begriff seine eigene Unzulänglichkeit. Ihm war klar, dass es um seine geistige Gesundheit ging. In klaren Momenten überlegte er, ob er am Anfang einer Demenz stand. Die vielen Jahre in Angst, in denen er versucht hatte, dem wahrscheinlich – nein sicherlich! – größten Geheimnis der Welt auf die Schliche zu kommen, hatten ihren Tribut gefordert. Sein Verstand stand bereits am eigenen Abgrund, bevor der normale Verschleiß eingesetzt hatte, und die Scham, als Irrer abgetan zu werden, hatte irgendwie dazu geführt, dass er tatsächlich verrückt geworden war.
Die Knoten auf seinem Handrücken waren genauso wie die in seinem Kopf: verkalkt und lädiert. Erneut ließ er den Blick über die vielen Papierstapel schweifen. Der Sohn von Alan Jones hatte ihn besucht – Cassius, der Älteste, der Mann, der auf der Flucht war. Er rieb sich die müden Augen. War er es denn überhaupt wirklich gewesen? Oder hatten
sie
einen von sich geschickt? Würde er sie je erkennen? Vielleicht war es wirklich Cassius Jones gewesen, doch das schloss noch lange nicht aus, dass er mit ihnen zusammenarbeitete. Vielleicht gehörte sogar die Mordanklage zu einem elaborierten Plan, der noch im Dunkeln lag. Dr. Cornell seufzte. Es war sehr anstrengend, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. In allem und jedem suchte er nach Verbindungen, weil
sie
überall waren und alles unter Kontrolle hatten. Irgendwann hatte er den Glauben an den Zufall verloren. Vielleicht war das der eigentliche Wahnsinn.
Er starrte auf die Massen von Papieren und Dokumenten, die auf ihn zuzuwachsen schienen. Irgendwo in diesen Stapeln lagen Antworten bereit und doch wurden nach jedem Schritt neue Fragen aufgeworfen. Er hatte seine Mission schon so lange verfolgt, dass er mehr Fragen vergessen als er je Lösungen gefunden hatte, obwohl die Grundfragen, die ihn Tag und Nacht quälten, dieselben geblieben waren:
Wer, warum, wie?
Und wie lange noch? Nur zwei Tatsachen standen unverrückbar fest: Sie waren nicht wie wir und sie waren immer schon da gewesen.
Wer
und
warum
hatten seine geistige Gesundheit unterminiert, das wusste Dr. Cornell. Er rutschte durch die Ritzen. Eigentlich musste er nur die Lösung finden und die anderen Menschen überzeugen. Diese langjährige Sammelleidenschaft musste einen Sinn gehabt haben. Gleich würde er wieder anfangen zu weinen.
Als plötzlich jemand laut an die Haustür schlug, ließ er vor Schreck die
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