Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
Vom Netzwerk:
kannst, aber es ist real, ganz bestimmt, und du kannst dorthin zurückkehren.
    »Was jetzt?«, fragte Dag, mit riesigen stierenden Augen in dem sonderbar zerklüfteten Ding, zu dem sein Gesicht geworden war. Aber niemand antwortete, und niemand wusste es.
     
    Der Kapitän und Wilson Pride schlachteten ihn. Ich sah nichts davon. Sie ruderten etwas weiter weg, und ich bettete meinen Kopf unterhalb vom Dollbord und hörte das Zerschneiden und Zerhacken, das Tropfen von Flüssigkeit, das unterdrückte Stöhnen vor Anstrengung.
    Tims Atem, faulig und schwer, traf auf meine Augen. »Schon gut, Jaff«, sagte er, »es ist in Ordnung, er ist nicht mehr da, er ist nirgends hier in der Nähe, er ist in Ordnung.«
    Hinter mir hörte ich Gabriel atmen, Luft holen, Luft anhalten.
    Ich öffnete die Augen. Tims Gesicht. Lächelnd. Er redete. Eiweißfäden zogen sich zwischen seinen Lippen. »Dauert nicht mehr lang«, sagte er.
    Fließendes Wasser.
    Mein Mund brannte und stach, mein Hals ging zu.
    »Ich kann nicht «, sagte Gabriel rau.
    »Doch, du kannst«, sagte Dan.
    Sie kamen angerudert, wir schaukelten bei ihrer Ankunft. Skip schniefte und schluckte.
    »Sie haben ein Feuer gemacht«, murmelte Dan.
    »Alles in Ordnung, Jaff«, sagte Tim lächelnd.
    Es wurde dunkel. Tat gut, der Rauch in der Nase und das kleine tanzende Licht.
    Er hielt mir den Becher an die Lippen. »Einen Schluck«, sagte er.
    Gerinnendes Blut, gehaltvoll.
    Ich trank, legte mich wieder hin und blickte mit weit geöffneten Augen in den plötzlichen Nachthimmel. Ein scharfer Geruch nach schmorendem Fleisch stieg in die Luft, und unter meiner Zunge explodierte ein köstlicher Schmerz. Die Sterne hingen tief. Als ich in Bermondsey lebte, war ich häufig hungrig. Ich wanderte dann am Ufer entlang nach Southwark, um das warme Essen zu riechen, das in der Bratröhre vom Anchor schmorte. Es ist auch eine Form von Essen, auf der Straße zu stehen und den Duft eindickender Soße einzuatmen. Der Fluss, der gegen die Uferböschung von Southwark schwappt, das liebe graue Southwark, weit hinter einem anderen Ozean, weit hinter einem ganzen Kontinent, so weit wie der Abstand zwischen mir und den leuchtenden Sternen.
    »Es ist einfach Fleisch«, sagte Dan zu Gabriel, aber Gabriel schüttelte den Kopf. Er summte sehr leise und tief aus der Kehle und starrte mit riesigen Augen starr vor sich hin. Aber am Ende musste er essen. Wer hätte es verweigern können? Er war ein stattlicher Mann gewesen und hatte sich in einen Stock verwandelt. Als er schließlich doch aß, geschah es mit wütender Konzentration und unter heftigem Atmen. Dan reichte mir ein dickes Stück angekohltes Fleisch, rosig und saftig und in der Mitte zart wie halb flüssiges Gelee. Ich saugte, und mir lief der Mund über. Ich kleckerte und sabberte, kleine Bäche liefen mir über Kinn und Brust, als wäre ich ein Baby.
    »Brauch ein Lätzchen«, sagte ich, und wir lachten. Wir kleckerten und sabberten alle, und unsere armen Mägen ächzten und stöhnten und kollerten.
    Wir aßen unsere Portionen, und der Kapitän ordnete für jeden Mann eine Extraration Wasser an. Er sagte, es gebe noch mehr Fleisch für morgen, sie würden es in den Kisten verstauen, in denen unser Zwieback gewesen war, es werde sicherlich für eine kleine Weile reichen. Und dann waren die Lichter aus, und wir legten uns alle hin. Ich sah immerzu John Coppers Gesicht vor mir.
    Weil wir gut gegessen hatten, schliefen wir gut, eine Bootsladung schnarchender Männer, und am Morgen erwachte ich mit seinem Gesicht vor meinem inneren Auge und einer eingeringelten Schlange im Bauch. Galle in der Kehle. Genauso hungrig wie immer.
    »Hier«, sagte Dan. »Trink.«
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Simon machte mit ein paar Stöckchen und fest aufgerollten Stoffstreifen ein Feuer. Was noch übrig sei, müsse gekocht werden, sagte er, sonst werde es schlecht. Ein bisschen sei schon schlecht geworden. Der Kapitän beugte sich über einen Eimer mit Innereien, die langsam grün wurden.
    »Was meinst du?«, fragte er.
    »Weg damit«, sagte Simon.
    Und sie gingen über Bord.
    »Wie lange kannst du das am Brennen halten?« Der Kapitän nickte in Richtung des Feuers.
    Simon verzog das Gesicht. »Zehn Minuten. Länger, aber . . .«
    »Hmm.«
    »Hängt davon ab, für wie viele Tage.«
    Wilson fühlte sich elend und hatte sich hingelegt, einen kalten Lappen auf dem Kopf. Sein braunes Gesicht glänzte vom Schweiß. Dag saß vollkommen erledigt im Heck des

Weitere Kostenlose Bücher