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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Ohr.
    »Braver Junge, Jaff«, sagte er. »Jetzt legst du dich hin und schläfst, wenn du kannst. Du brauchst wegen gar nichts Angst zu haben. Bald bist du zu Hause.«
    Als wären wir Kinder, befahl er Tim und mir, uns hinzulegen. Wir mussten die Augen schließen und ihm zu Gefallen so tun, als schliefen wir. Das machte ihn froh. Er begann schläfrig zu singen und pisste über Bord. » Wenn andre Lippen, andre Herzen von Liebeslust erzählen . . .«
    »Was ist los, Dan? Was ist los?«
    »Nichts. Alles in Ordnung.«
    »Dan?«
    »Ja?«
    »Meine Zunge . . .«
    »Ich weiß.«
    Skip fiel mir ein. Ich drehte den Kopf. »Skip«, sagte ich, »bist du noch bei Verstand, Junge?«
    Er lächelte. »War ich das je?«
    »Hier«, sagte Dan, richtete mich auf und hielt mir Wasser an die Lippen. Ich linste übers Dollbord. Ich sah das Kapitänsboot, dunkel vor rotem Hintergrund. Zusammengesackte Gestalten, allesamt in die kommende Nacht hineinschlafend. Niemand auf Wache. Das konnte nicht richtig sein.
    Skip packte meinen Arm, ganz fest, den Unterarm direkt unter dem Ellbogen, innen.
    »Guck mal!«
    Es wurde dunkel.
    »Da ist nichts.«
    »Doch.«
    »Ich seh nichts. Was denn?«
    Er konnte Dinge sehen, das steht außer Zweifel. Seine Krallen,
unterhalb meines Ellbogens. »Jetzt! Jetzt!«, sagte er. »Jetzt dreht es das Gesicht in unsere Richtung.«
    »Lass mich los!« Ich schüttelte ihn ab.
    »Halt deine blöde Fresse«, sagte Tim wütend. »Du hast doch damit angefangen, Skip, du hast es gesagt. Du. Was war es? Was du gemacht hast? Was?«
    Skip hielt sich die Augen zu.
    »Du warst es!«
    »Jungs, Jungs«, sagte Pater Dan.
     
    Der Zwieback des Kapitäns ging zur Neige, und das Fleisch ging zur Neige. Geschwüre brachen auf, unsere Haut wurde vulkanisch. Wir warteten darauf, dass Wilson Pride starb. Ja, so war es. Wir wussten, er würde der Nächste sein. Inzwischen waren wir so weit, wir wünschten es, hofften darauf, während er dalag und in seinem trockenen Schweiß glühte und seine blauschwarze Zunge sich durch seine Lippen schob. Unser Koch, der uns all das zubereitet hatte – Eintopf, Mehlpudding, Graupenbrühe und den Reis und die Erbsen seiner Heimat, gewürzt mit dem, was gerade zur Hand war, oder einfach mit ein bisschen Salz, einem Rettich, ein paar auf einer fremden Insel gepflückten Kräutern. Ein bisschen gebratenen Fisch. Kleine Fische, Innereien und so weiter, Köpfe und Schwänze und Augen und alles. Oh, mein Bauch, das große Loch der Welt. Brühe. Heiße Brühe, herzhafter Dampf. Saftig grüne Blätter, rötlich-orangefarbene Wurzeln, köchelnder seidiger Porree, tanzende goldene Flüssigkeit.
    »Meine Mama hat immer so eine Brühe gekocht«, sagte ich, »Schinkenknochen, wenn sie welche kriegen konnte. Bohnen und Erbsen. Rüben. Karotten.«
    »Du hast den Drachen rausgelassen«, sagte Tim unvermittelt, »das hast du getan.«
    »Na und?«
    »Du hast das gemacht. Hast du selbst gesagt. Ihn rausgelassen.«
    »Porree«, sagte ich, »Porree ist sehr wichtig. Man braucht unbedingt Porree.«
    Wilson kocht nicht mehr. Wilson hat sich sehr weit entfernt. Seine Seele hat sich auf Wanderschaft begeben, Rucksack über der Schulter. Ich habe versucht, mit Tim darüber zu reden, dass ich kein Gefühl für Richtig und Falsch mehr habe und dass ich abwechselnd versteinert und wie Feuerwasser bin und dass ich ihm eigentlich viele, viele Dinge sagen möchte, aber nicht sprechen kann, die Wörter nicht von meiner Zunge bekomme, weil sie zu schwerfällig und dumm ist. Stumm entfernt der Kapitän den heißen Lappen von Wilsons Stirn, taucht ihn ins Meer und zieht ihn schön kalt wieder heraus, drückt ihn aus, schüttelt ihn kräftig und legt ihn dem Sterbenden wieder auf den Kopf.
    Wilson redete, vielmehr brabbelte er sinnloses Zeug. Seine breiten Lippen waren nach innen geschrumpft, und seine Augen starrten, wenn sie nicht geschlossen waren, mit fast so etwas wie Humor in den Himmel.
    »Ich bin vorher schon zweimal mit ihm gesegelt«, sagte der Kapitän.
    »Ach ja?« Dan kratzte ununterbrochen an dem Grind an seinem Hals.
    »Simon, rück ein bisschen, damit er mehr Platz hat, es ist bald vorbei.«
    Simon rückte beiseite, also musste auch Dag rücken, sehr unbeholfen mit seinen geschwollenen Beinen, die inzwischen rot wie Kochschinken waren. Er zuckte zusammen, verzog das Gesicht und schluchzte ein paar Mal trocken.
    Dan rief uns wie Hühner zu sich. »Hierher, Jungs«, sagte er, »Kein Grund, da hinzuschauen.«
    Wir

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