Der Atem der Welt
glühte gelb. Ich setzte mich neben Ishbel an die Wand, Tim drängelte sich am anderen Ende der Bank an den Rotschopf Jane und kaute eine Süßholzwurzel.
»Oh, da sind sie ja«, deklamierte Ishbel sarkastisch. »Heil euch, großmächtige Forscher. Diese beiden Hosenscheißer hier wollen mich verlassen, Jane.«
»Ich weiß«, sagte Jane und zwirbelte an ihren dichten roten Locken. »Wird ja dauernd von geredet.«
»Drei Jahre! Was mach ich bloß die ganze Zeit so allein?« Sie legte mir einen Arm um den Nacken. Seit zwei Jahren schmusten wir schon rum, aber Küsse erlaubte sie mir nicht. Sie machte mich wahnsinnig.
Meng wollte wissen, ob wir was bestellen würden. Tim nickte und bezahlte für uns beide.
»Drei Jahre?«, sagte Jane. »Das ist eine sehr lange Zeit.«
»Vielleicht auch weniger«, warf ich, der Wahrheit halber, ein.
»Na ja, Jungs, viel weiter hättet ihr wohl kaum fahren können«, meinte Jane. »Weißt du, dass Bob sagt, er möchte euch nicht verlieren, Jaff?«
»Ich finde es verrückt.« Ishbel hielt mich immer noch im Arm und fummelte dabei an ihren Haaren herum. »Ich glaube, Fledge ist verrückt. Ganz bestimmt ist er das, so wie er sich aufführt. Zeigt sich nie, will dies und will das, kreuzt aber nie selber auf und zeigt sein Gesicht. Verrückter Kerl, völlig wahnsinnig, wenn ihr mich fragt. Lebt wahrscheinlich in einem Schloss, geht nie raus und trägt eine Maske, weil er grauenhaft hässlich ist.«
»Höchstwahrscheinlich.« Tim beugte sich über Janes runden, samtigen Hals. »Ist doch egal. Er zahlt.«
»Es ist aber kein echter Drache«, erinnerte ich sie.
»Woher weißt du das?«, fragte Tim. »Niemand weiß, was es ist.«
Auf dem breiten Kaminsims stand ein chinesischer Drache, zusammen mit einer Pfeifensammlung und einer Eule aus Wachs. Ich dachte an dieses wilde Untier, diese alte Geschichte. Tief in einem Wald sah ich es, große, traurige rote Augen und eine hellrote Zunge, gegabelt wie ein Schwalbenschwanz und dünn wie ein Grashalm, flink schoss sie vor und zurück. Es saß da und wartete darauf, gefunden zu werden.
»Dan Rymer meint, es gibt da etwas«, verkündete Tim entschieden.
»Ach, und er weiß Bescheid?«, meinte Ishbel. »Er weiß natürlich alles.«
»Auf jeden Fall weiß er eine verdammte Menge.« Tim legte den Kopf in den Nacken und blies lächelnd eine große blaue Rauchwolke an die Decke. Im Schein des Feuers leuchtete sein Haar golden. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er wirklich fortgehen wollte. Er behauptete es, aber bei Tim wusste man nie. »Sogar Jamrach weiß nicht halb so viel von dem, was Dan über wilde Tiere weiß«, erklärte er.
Natürlich gibt es bei Drachen solche und solche. Wir waren hinter einem östlichen Drachen her. Der da hinten auf der glänzenden roten Jacke des Türstehers und der auf dem Kaminsims, das waren Drachen aus dem Osten, grimmige, irgendwie geflügelte Schlangen, mit vielfach aufgerollten Schwänzen, riesigen Köpfen mit Schnurrhaaren und enormen, vorquellenden Augen.
»Es ist kein echter Drache«, wiederholte ich. »Er hat keine Flügel.«
»Ich bin froh, dass du mitfährst, Jaff«, sagte Ishbel. Sie rückte mit ihrem Gesicht dicht an meins, so dass ich ihren würzigen Atem riechen konnte. Ich wich ein wenig zurück. Es war stets ein Mal-und-mal-nicht-Ding und auch nur, wenn sie Lust hatte. Das war nicht fair.
»Bist froh, dass du mich loswirst«, meinte ich.
»Sei nicht albern.« Sie legte den Kopf auf meine Schulter, und auch das war nicht fair. »Du bist doch der Vernünftige. Du musst auf ihn aufpassen.«
Tim ließ sich in Spoony-Janes Schoß sinken und schnaubte verächtlich bei der Vorstellung, ich hätte auf ihn aufzupassen. Ich legte meinen Arm um Ishbels Taille, und sie ließ es zu. »Es ist doch nur ein großes Krokodil«, sagte ich. »Wir gehen nur auf Krokodiljagd, das ist alles.«
»Ich weiß«, sagte sie und lächelte schläfrig mit ihren schweren Augen, »und vielleicht ist da noch nicht mal eins.«
Tim schlief jetzt im weichen Schoß von Spoony-Jane. Weißes Kleid, weiße Schuhe und dazu Jane, die lächelnd eine kleine Melodie summte. Ich kannte diese Melodie von Ishbel, die sie vor Jahren neben dem Stand des Kräutermannes an der wunderbar duftenden Ecke zur Baroda Street gesungen hatte. Regen, dunkle Spritzer auf den Steinen, Frauen, die das kleine Ding anstrahlten, Matrosen in blauen Jacken, ihre Mutter neben ihr, den Korb mit den vollbusigen Nixen in der Hand. Die angemalte Ishbel mit dem
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