Der Atem der Welt
Assistent gegangen war, und zehn Minuten später kam er wieder herausgerannt.
»Ich werde Seemann! Ich fahre mit Dan! Wir werden einen Drachen fangen! Und wir werden reich sein!«
»Es gibt keine Drachen«, sagte Cobbe.
Aber Tim wollte gehört haben, dass Dan einen Mann kannte, der gesehen hatte, wie ein Drache aus dem Wald kam, auf einer Insel östlich der Javasee. Und Mr Fledge, der immer das haben wollte, was kein anderer noch jemals gehabt hatte, sei jetzt entschlossen, der erste Mensch der zivilisierten Welt zu werden, der einen Drachen besaß. In drei Wochen werde ein Schiff in See stechen und Tim werde an Bord sein und, als rechte Hand des großen Jägers, gen Osten segeln, immer weiter gen Osten, bis sie den Globus umrundet hätten.
»Er ist nicht ganz dicht«, sagte Cobbe und tippte sich an die Stirn. »So sieht's aus.«
Ich malte mir ein großes fliegendes Monster aus, das wie ein Reiher langsam mit den Flügeln schlug, Feuer spuckte, mit Helden kämpfte, einen Schatz hütete oder Mädchen fraß. Sehr große runde Nüstern, solche, in die man kriechen konnte, wie in eine Kanalröhre in Bermondsey.
Aber ich war doch derjenige, der gut mit Tieren konnte, jeder wusste das. Wieso durfte ich nicht mit?
»Ich glaube nicht, dass ihr Glück habt«, sagte ich, »jedenfalls nicht mit dem Feuer.«
»Was für einem Feuer?«
»Die atmen Feuer aus.«
»Sei doch nicht albern. Das steht nur in den Märchenbüchern. Du glaubst mir wohl nicht? Los, komm.« Er schien verrückt, zog mich freudestrahlend in das völlig verqualmte Büro, wo Dan Rymer und Mr Jamrach Brandy tranken.
»Es stimmt doch, nicht?«, sagte Tim. »Sagen Sie es ihm.«
Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, lehnte sich in seinem Stuhl sehr weit nach hinten, streckte seine langen Beine auf dem Schreibtisch aus und faltete die Hände hinter dem Kopf.
»Es stimmt«, sagte Jamrach. »Zum Glück besitzt Mr Fledge mehr Geld als Verstand.« Dan und er brachen in Lachen aus.
»Ein Drache?«
»Und was für ein Drache.« Dan kritzelte auf einem Stück Papier. » Falls er existiert. Natürlich glauben die Eingeborenen daran. Sie nennen ihn Ora. Es gibt von jeher Gerüchte. Ich habe einmal mit einem Mann auf Sumba gesprochen, der behauptete, sein Großvater sei von einem gefressen worden. Und es gab auch einen Walfänger, einen Inselbewohner. Der kannte so eine Geschichte. Es gibt eine Menge Geschichten.«
Er zeigte mir, was er gezeichnet hatte. Es sah aus wie ein Krokodil auf langen Beinen.
»Wenn er keine Flügel hat, ist es kein Drache«, erklärte ich, »jedenfalls kein richtiger.«
Dan zuckte die Achseln.
»Wir werden drei Jahre unterwegs sein«, sagte Tim hingerissen.
»Zwei, drei«, sagte Dan. »Hängt davon ab.«
»Wovon?«, fragte ich. Er zuckte erneut die Achseln.
Mr Fledge besaß ein Walfangschiff mit Namen Lysander . Es war von Hull hierher gesegelt und wurde gerade am alten Greenland-Dock beladen. Dan und Tim und wer sonst noch mitfuhr, würden unterwegs als Bootsmannschaft dienen und sich auf der Heimfahrt um die wilden Tiere kümmern, sofern es welche gab.
Bringt einen Drachen nach Hause, sagte der Mann von Fledge, und ihr braucht nie mehr zu arbeiten.
Ich ließ Tim ein paar Tage lang triumphieren und ging dann hinunter zum Greenland-Dock. Die Lysander war ein sehr altes Schiff, eines der letzten seiner Art, würde ich sagen, und es brauchte Besatzung. Ich unterschrieb. Mr Jamrach würde leicht einen anderen Jungen für den Hof finden.
»Sie werden mich für die Tiere brauchen«, sagte ich, als ich Dan erklärte, ich käme mit. »Ich bin besser als er.«
Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte in den weißen Rauch, der vor seinem Gesicht aufstieg, und sagte: »Na gut, wahrscheinlich kannst du ein bisschen auf Tim aufpassen.«
Die arme Mama aber, sie war verzweifelt. »Ich will nicht, dass du zur See fährst, Jaffy«, sagte sie, als ich es ihr berichtete. »Ich habe immer gewusst, dass das eines Tages passieren würde, und ich habe mir immer gewünscht, es würde nicht passieren. Es ist ein grauenhaftes Leben. Viel zu hart für einen jungen Burschen wie dich. Du weißt, dass du nicht einfach umkehren kannst, wenn du da draußen bist.«
Damals wohnten wir in Limehouse. Mama hatte sich mit einem Fischer namens Charley Grant zusammengetan, einem sehr anständigen Kerl. Sie nahm gerade auf einem Brett Heringe aus, als ich es ihr erzählte, schlitzte ihre Bäuche auf, klopfte sie, schlug die Rückengräte mit der stumpfen
Weitere Kostenlose Bücher