Der Atem der Welt
Köstliches hatte ich noch nie gegessen. Ich dachte, hier sollte ich leben, mein Glück bei den Vulkanen suchen.
»Siehst du«, sagte Dan und wedelte mit seinem Löffel vor meiner Nase, »ich weiß, wo man hingehen muss.«
»Verdammt wahr«, sagte Tim, »wir wüssten nicht, was wir ohne dich machen sollten.«
»Ohne mich«, verkündete Dan großspurig, »ging's euch wie den anderen. Onkel Dan kennt sich aus.« Er lispelte leicht. Er schenkte uns freigebig aus der Lederflasche ein, und wir tranken. Ein Mädchen mit Zöpfen und einem roten Kopftuch saß
auf einer hölzernen Treppe und spielte Mandoline, ich verliebte mich auf der Stelle in sie und wusste, dass ich hier nie mehr fortgehen würde, dass ich meine wahre Heimat gefunden hatte und für immer glücklich sein würde. Der Klang der Mandoline war wie perlendes Glockengeläut, unerträglich süß, und Tränen stiegen mir in die Augen. Es wurde gesungen, weicher Gesang glücklich betrunkener Männer. Ein sehr kleines Kätzchen kletterte mir aufs Knie, ein süßes, schnurrendes Ding, das sich in meine Achsel kuschelte und nuckeln wollte. Große und kleine Hunde strichen in den schattigen Winkeln umher, krochen unter Tische, liefen durch die Tür rein und raus. Überall staksten Hühner herum und glucksten mit ihren verrückten, scharfen, halb geöffneten Schnäbeln. Tim war verschwunden. Ich sah mich suchend um, aber alles im Raum drehte sich, herrlich, bunte Farben, das Feuer, das rote Kopftuch, die blauen Umhänge. Dan war noch da, sah mich belustigt an, ein U-förmiger grinsender Mund, kleine, eng stehende Augen, tief unter einer niedrigen, gefurchten Stirn. Er lehnte sich, auf einen Ellbogen gestützt, über den Tisch und sah mir in die Augen. »Jetzt kommt etwas, Jaff«, sagte er. »Vergiss es nie.«
Wenn Dan Rymer trank, kam sein wahres Ich zum Vorschein. Seine Augen funkelten dann, seine Lippen kräuselten sich, seine Glieder wurden lockerer.
»Was denn, Dan?« Ich lachte, tollkühn und verrückt von dem schweren roten Wein. Er schmeckte leicht metallisch und erinnerte mich an Blut, wenn man sich auf die Lippe gebissen oder das Zahnfleisch verletzt hat. »Heraus mit den Worten der Weisheit!«
»Das ist es schon«, sagte er, »nur das. Vergiss es nie.«
»Was soll ich nicht vergessen?«
Er rauchte einen langen braunen Stumpen, wedelte elegant damit und produzierte erstaunlich helle blaue Rauchwirbel. »Diesen Rauch«, erklärte er ernst, »solange du lebst, vergiss nicht
den Anblick dieses Rauchs«, und er summte Tabak ist nur Indianerkraut.
Man brachte uns noch mehr Wein und dazu etwas Gebäck, leuchtend gelb, sehr süß und saftig.
»Die sind gut«, sagte er, griff nach den Keksen, und wir stopften uns voll. »Die sind das Höchste der Gefühle an Gebäck. Für solche Kekse wird man geboren.« Er grinste und ließ seinen Arm vage kreisen. »Hast du die Madonna gesehen?«
»Was meinst du?«, fragte ich dümmlich, leerte mein Glas und wollte sofort mehr, griff nach der Flasche, goss mir ein, verschüttete ein paar Tropfen. Man konnte nicht sehen, wie viel in der Flasche war, aber sie war noch ziemlich schwer. Das Kätzchen glitt aus meiner Armhöhle und rutschte mit empörtem Miauen auf den Boden.
»Die Madonna«, wiederholte Dan, »komm und sieh sie dir an, da oben, über der Treppe.« Ich wollte nicht aufstehen, aber er hatte sich schon erhoben und winkte mich dorthin, wo der Engel mit der Mandoline mit seinen braunen Fingern immer noch den Himmel erschuf.
Ich folgte ihm.
»Hier«, sagte er, »so etwas Schönes wirst du vielleicht nie wieder sehen.«
Ich blickte hoch. Das wirkliche Mädchen, das Mandolinenmädchen, war zu meiner Linken. Ihre Musik war inzwischen verklungen, sie zupfte und zirpte in beiläufig planloser Weise an ihrem Instrument herum. Oben über der Treppe war ein Bild direkt auf die Wand gemalt, die Madonna, die ihren Mantel ausbreitet und die Welt beschirmt. Wie machen die das bloß, solche Bilder, manche dieser Bilder jedenfalls. Man kann die Augen der Madonna nicht sehen, weiß aber, wie sie aussehen, man weiß es einfach.
»Du weißt, dass ich eine Frau habe«, sagte Dan Rymer und blies mir warmen Alkoholatem ins Gesicht.
»Ja«, sagte ich.
»Ich liebe meine Frau.«
Die hochgewachsene blonde Frau mit den kleinen Kindern am Rockschoß und im Arm. Greenland-Dock. London. Geliebtes London. Ach, Greenland-Dock. Ach, gebratener Fisch und grauer Himmel und Marktgeruch in der Watney Street, wenn ein neuer Tag
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