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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Kiefer klappte auf, und ich sah Krokodilzähne. Dann drehte es den Kopf und setzte sich in Bewegung, allerdings nicht mit der Geschwindigkeit, die wir vorher beobachtet hatten, sondern behäbig, als spüre es sein Gewicht. Langsam glitt es den kurzen Hang hinunter und tapste über die weite Ebene in Richtung Reh, den Kopf jetzt dicht über dem Boden, schlangenartig, mit vorschießender Zunge und sichernd. Sein Aufbruch löste Erleichterung bei uns aus, doch der Malaie blieb angespannt – alle Muskeln in Alarm – und verbot uns mit einer einzigen abrupten Geste jede Bewegung. Wir sahen zu, wie der Drache für eine Weile irgendwie unentschlossen umhertrottete. Offensichtlich war er nicht daran interessiert, dem armen Reh den Rest zu geben, jedenfalls noch nicht. Wir blickten der Kreatur so lange hinterher, bis sie nur noch ein spitzes Schwanzende war, das allmählich im Buschland jenseits der Lichtung verschwand.
    Der Malaie drehte sich um und gab uns zu verstehen, wir sollten langsam und leise umkehren, und so liefen wir auf demselben Weg so lange zurück, bis wir wieder an der großen Felswand waren.
    »Diese Größe, mein Gott, diese Größe«, sagte John Copper.
    Dan zeigte keine Regung. Nur ein geheimnisvolles Lächeln.
    »Warum haben wir es nicht verfolgt?«, fragte ich.
    »Schlecht vorbereitet«, sagte Dan. »Hat keine Eile. Jetzt wissen wir, was uns erwartet.«
    Er zog sich zu einer Unterredung mit den Malaien zurück. Leicht angespannte Festfreude war zu spüren, ein kurzer Ausbruch von Gelächter.
    »Mein Gott«, sagte John noch einmal. »Irgendwas zu rauchen dabei, Jaff?«
    Wir vier – Tim und ich, Dag und John – setzten uns und zündeten unsere Pfeifen an.
    »Da haben wir es also«, sagte Tim. »Das Scheißmonster.«
    »Es ist kein Drache«, sagte ich. »Sondern das, was er immer gesagt hat. Ein großes Krokodil.«
    »Ganz schön groß.«
    »Aber immer noch kein Monster.«
    »Ich hab so was noch nie gesehen. Es ist wie . . .«
    »Ein grauenhaftes, hässliches Wesen. Habt ihr diese Klauen gesehen?«
    »Und die Zähne?«
    »Himmel, wie sollen wir . . .«
    »Ist aber langsam. Nicht sehr wendig.«
    »Hast du nicht gesehen, wie es gerannt ist? Vorher? Am Anfang, auf dem Weg. Hast du das nicht gesehen?«
    »Gut, da ist es geflitzt.«
    »Trotzdem ist es nur ein Tier«, sagte ich.
    »Was hast du denn erwartet? Den heiligen Georg und ein Mädchen, an einen Felsen gefesselt? Natürlich ist es nur ein Tier.«
    »Es ist einfach nur ein wildes Tier. Wir können es fangen. Dan hat einen Tiger gefangen, dann kann er auch das Ding hier fangen.«
    »Genau das macht er ja immer, er bringt sie lebend nach Hause.«
    Dan kam dazu und erklärte, wir würden die Nacht hier kampieren und morgen dann weiterziehen, eine Stelle zum Aufstellen der Falle suchen. Hier? Wo solche Wesen herumgeistern? Und morgen wäre alles, was von uns noch übrig war, unser Gepäck, das verloren zwischen unseren zerstreuten Knochen herumläge. Aber Dan meinte, nein, hier sei es gut, wir würden ein Feuer machen und eine Wache aufstellen, was wir dann auch taten. Und tatsächlich war es ziemlich friedlich und angenehm, wie wir da, mitten in der tiefschwarzen Wildnis, im warmen Schein des Feuers saßen. Dan ließ eine kleine Flasche Brandy herumgehen, und wir tranken und rauchten unsere Pfeifen, und der Malaie mit den blauen Tätowierungen erzählte uns etwas, was wie Witze in seiner Muttersprache klang, und wir mussten alle lachen, obwohl wir kein einziges Wort verstanden. Es war einfach sein Gesicht und die Art, wie er sprach. Und am Ende schlief ich gut und erwachte erst, als die anderen schon auf den Beinen waren und es gerade hell zu werden begann.
    Zum Frühstück aßen wir ein bisschen Schiffszwieback, packten zusammen und marschierten weiter. Ich dachte, wir würden schon bald die Falle aufstellen, aber Dan hatte keine Eile. Das finster blickende Untier und alles, was am vergangenen Abend geschehen war, schien ein Traum zu sein, während wir immer weitertrotteten, die Sonne immer höher stieg und immer heißer brannte und die Wolken sich über dem Hochland, das vor uns lag, langsam auflösten. Vor uns tauchte ein ziemlich kahler Steilhang auf, und Wasser lief über eine Felswand und landete weiter unten an einer Stelle mit dschungelartigem Bewuchs. »Unten«! Ich hatte vergessen, wie hoch wir, vom Ufer aus gesehen, inzwischen gestiegen waren. Wir befanden uns nun in einem Teil der Insel mit üppigerer Vegetation. Hier roch die

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