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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Luft streng und reif wie eine geplatzte Pflaume. Wieso stellten wir die Falle nicht
auf? Es gefiel mir nicht, in ein Gelände mit so guten Deckungsmöglichkeiten hineinzulaufen. Inzwischen gab es nicht nur das hohe Gras, in dem allerlei kleines Getier lauern konnte, sondern linker Hand auch immer mehr Unterholz mit einzelnen dichteren Inseln aus Buschwerk, hinter denen gut ein Drache lauern konnte. Oder auch zwei Drachen, drei, wer weiß, ein Dutzend dieser Wesen konnte sich da versteckt halten. Wieso nicht jetzt die Falle aufstellen? War eine Stelle nicht genauso gut wie die andere? Aber nein, ganz und gar nicht, meinte Dan, weiß der Himmel, wieso, was nützt es, wenn wir das Biest endlich vor uns haben und alle erschöpft sind? Also immer weiter, bis wir etwas Fauliges in der Luft spüren, an eine Abbruchkante kommen, die niemand erwartet hat, und was sehen wir, als wir hinunterblicken . . .
    Eine ganze Herde! Wie Aale oder Würmer glitschten sie in wildem Gerangel über einen ekligen Kadaver, einen roten und rosafarbenen Lappen mit schleifenden Girlanden behängt, und ein halb abgetrennter und nach hinten gekippter grinsender Schädel verriet, dass es sich um einen der Ihren, einen Artgenossen handelte. Ein anderes Tier sah zu, ein riesiges Ding, massig und unbeweglich wie ein Fels, die gewaltigen, baumstammförmigen Beine vor sich aufgepflanzt. Und ein weiteres, kleineres Tier schnippte mit seiner flachen, gegabelten Zunge, während es träge davonkroch. Vollgefressen. Sechs, sieben, acht, neun, zehn Drachen, glaube ich. Es waren chaotische Fresser, schlimmer als Haie, sie sabberten, zitterten, rissen und schnappten gierig, reckten ihre mächtigen schlingenden Mäuler, um zu schlucken. Irgendwann begann der Große, der nur zusah, mit dem Kopf schwerfällig hin und her zu schaukeln, watschelte dann wie ein stämmiger betrunkener Rabauke los und beteiligte sich bald schon an der Fresserei. Er hatte etwas derart müde Majestätisches und war so viel größer als all die anderen, dass er sehr schnell zum Mittelpunkt des Geschehens wurde und die an
deren sich nur respektvoll um ihn herumschlängelten, fast ohne ihn zu berühren. So konnte er mehr oder weniger ungestört fressen, sich gewaltige Stücke mit seinem aufgerissenen Maul schnappen. Dieses riesige Maul! Wie schauerlich weit, wie schlangenartig konnte der Kiefer aufklappen, und dazu diese glänzende rosafarbene Membran aus blutigem Geifer, die sich zwischen Unter- und Oberkiefer ausspannte. Speichel tropfte auch von seinen rasiermesserscharfen kleinen Zähnen! Er unterbrach sich für eine Weile, schloss das Maul und hob den Kopf, machte ein paar Bewegungen in unsere Richtung und ließ die Zunge vorschnellen. Wir hatten Deckung genommen, aber ich schwöre, dass er mich anblickte. Ganz ausdrücklich mich, mit einem dämonisch breiten, roten Grinsen. Ich bekam eine Gänsehaut. Welten existierten zwischen den Tieren bei Jamrach und den Tieren der Wildnis, Welten zwischen einem Krokodil im Gehege und einem Drachen in freier Wildbahn. Ich war wilden Tieren schon tausende Male viel näher gewesen, aber hier gab es keine Gitter. Dies hier waren echte wütende Bestien in der echten Wildnis, und nichts war zwischen ihnen und mir. Ein kalter Angstschauer durchfuhr mich. Er begann wie ein Übelkeitsanfall irgendwo tief in meinem Bauch, breitete sich aus und fuhr mir binnen Sekunden bis in die äußersten Extremitäten. Ich dachte, das Monster werde die Klippe hinaufspringen, um mich zu fressen, so wie es den Drachenkadaver gefressen hatte, der jetzt aus kaum mehr als ein paar Rippen und ein bisschen zerfetzter Haut bestand. Doch stattdessen schloss es sein Maul und machte sich mit gelangweilter Miene gemächlich über die allerletzten Reste her.
    Wir sahen zu, bis nichts mehr übrig war. Sie verschlangen alles, noch den letzten Knochen, und dann verzogen sie sich, eines nach dem anderen, schwerfällig ins Buschland. Alle bis auf ein Tier, das auf die gegenüberliegende steile Felswand stieg, so wie ein Gecko eine Glasscheibe hochläuft. Es kletterte schnell und anmutig und spreizte dabei seine riesigen gekrümmten Klauen.
    Ich erschrak, wie es da so geschmeidig hochkletterte. Stell dir vor, du wirst gejagt, kletterst, rutschst, schweißgebadet.
    »Habt ihr gesehen?«, sagte Dan, nachdem wir uns von der Felskante zurückgezogen hatten. »Es könnte leicht auf einen Baum klettern.«
    »Kein Grund, das so verdammt fröhlich zu verkünden«, sagte John Copper. »Ich

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