Der Atem der Welt
die flüsternden Gräser, Dans Hinterkopf vor mir, meine schmerzenden Schultern und mein Hals, der mir beim Atmen wehtat. Das ging eine gute Stunde so, bis wir langsamer wurden und dicht bei einer Art Felswand die Reihen wieder schlossen. Gesprochen wurde jetzt nicht mehr. Wir waren inzwischen so tief ins Innere der Insel vorgedrungen, dass ich völlig die Orientierung verloren und keine Ahnung hatte, in welcher Himmelsrichtung unser Schiff lag und wie weit entfernt es war. Ich konnte auch nicht mehr sagen, ob die Felswand zu unserer Rechten so hoch wie zwei Menschen war oder so hoch wie ein Berg. Der schnelle schwarze Schatten war unterwegs eine Million Mal vor meinen Augen entlanggehuscht. Wie viele dieser Wesen gab es hier, die sich im dichten Unterholz verbargen und uns mit harten Reptilienaugen beobachteten? Ich hatte noch nie solche Angst gehabt, war aber auch noch nie so hellwach gewesen. Ich hatte das Gefühl, meine Augen seien weit aufgerissen und glänzten zu stark, die anderen sahen jedenfalls so aus. Selbst die Malaien, die ich für weise und unerschütterlich, für nahezu unverwundbar gehalten hatte, vibrierten geradezu vor verstörter Anspannung. Ich hatte den mächtigen Walen ins Auge gesehen, aber das waren auch keine unbekannten Wesen.
Und jetzt beginnt eine stumme Vorführung. Unser Blut gerät in Wallung. Wir sind in der Wildnis, und die Wildnis hat Zähne und Klauen und Augen und stinkt verwest wie ein vierundzwanzig Stunden alter Kadaver. Ich hatte nur einen dunklen lebendigen Brocken von beträchtlicher Größe und vier rennende krumme Beine gesehen. So schnell! Dan und die Malaien sprechen mit ihren Händen und Schultern und Augen. Ich wünschte, ich
wäre Dan. Ich wünschte, ich hätte sein Talent, mit jedem zu reden, dem er beim Durchstreifen der Welt begegnet. Ich wünschte, ich hätte seine Unbekümmertheit an fremden Orten und seine Fähigkeit, nie ängstlich zu wirken. Ich wünschte, die Furcht in meinen Eingeweiden würde sich in gelassene Heiterkeit verwandeln. Der Kleinere der beiden Malaien hat Blut entdeckt. Etwas hinterlässt eine Spur. Er bewegt seinen Unterarm so – wie er das fertigbringt, weiß ich nicht –, dass er wie ein Reh aussieht. Er hebt die Handfläche, bedeutet uns, zurückzubleiben, und läuft weiter. Eine Weile steht er absolut regungslos da und blickt ins lichter werdende Unterholz, dann winkt er uns vorsichtig heran.
Wir näherten uns wie Geister. Als Erstes sah ich das Reh, durch das hohe Gras hindurch. Es war weit weg, am Rand eines langen, kahl werdenden Hangs, fast tot, und seine Blutspur folgte ihm zuverlässig bis fast in den Schatten des Felsens, wohin es sich geschleppt hatte. Es war im Staub zusammengebrochen. Eine Blutlache breitete sich um das Tier aus, und es versuchte beharrlich, aber vergeblich, den Kopf zu heben.
Dann sah ich den Drachen, etwas oberhalb von uns, vollkommen regungslos auf einer kleinen Erhebung in der Ebene, kaum mehr als eine Deckslänge von mir entfernt. Ein riesiges, bräunlich grünes Wesen mit schwarzem Kopf und schwarzen Beinen, größer und länger als ein Tiger, aber niedriger, nur die mächtige Brust und den Kopf richtete es ebenso hoch auf, und hinter sich her zog es eine gewaltige Waffe von Schwanz.
Es war überwältigend. Seine Füße waren wie Riesenhände, gespreizt und leicht einwärts gedreht, knubbelig und wellig, und am Ende saßen lange, schwarze, sichelförmige Krallen – offenbar eine Art Echse, aber etwas dergleichen hatte ich noch nie gesehen. Bei Jamrach hatten wir Geckos und Chamäleons gehabt, einmal sogar eine Gila-Krustenechse, aber verglichen mit diesem Wesen hier war das gar nichts. Allein die Größe! Dieser
Brustkasten, diese Muskeln in den Armen, diese Haut wie eine antike Rüstung, schuppig, gekerbt und narbig wie die Ohren eines alten Katers; locker und runzlig schlotterte sie unter dem Bauch und um den Hals. Das geschlossene Maul sah aus wie das eines Krokodils, der lange Unterkiefer war genauso gewellt. Eine flinke Zunge schoss vor und zurück, gespalten und gelb.
Jetzt begann das Monster, leicht den Kopf zu schwenken, langsam, schlangenartig, von einer Seite zur anderen. Wie lange sahen wir zu? Minutenlang.
Nach einer Weile blickte es in unsere Richtung, aber ich glaube nicht direkt zu uns. Es hatte ein breites, flaches, brettartiges Gesicht mit großen Nüstern und kalten, verhangenen Augen, die sehr tief an beiden Seiten des Kopfes saßen. Ein mürrisches, unzufriedenes Gesicht. Sein
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