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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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flitschte mit der Zunge, dann öffnete er sein höhlenartiges Maul und schloss es wieder, stellte sich auf seine Hinterbeine und pflanzte seine mächtigen Vorderbeine mit den Krallen oben auf den Käfig. Er hätte mich spielend erreichen können. Seine Arme waren wie dicke alte Baumstämme, in Ewigkeiten gewachsen. Ein langes gelbes Vorschnellen der Zunge und ein ungeheuer faltiger Hals, breit wie ein Waschbrett. Er sah mir tief in die Augen, und es war nicht so, als sähe ich einem Hund oder einer Katze in die Augen, selbst ein Tiger blickt anders. Nichts war in diesen Augen, das ich hätte ergründen können, kein Erbarmen, keine Bosheit. Ich blickte in eine kalte Seele. Er würde mich töten, mich mit seinen Zähnen zerreißen. All das würde ohne Bedeutung sein. Ich würde ohne Bedeutung sein, genauso unbedeutend wie ein grüner Spross, der durch die Erde bricht und von einem vorbeitrottenden Schaf gefressen wird.
    Comeragh erschien mit gezückter Harpune. Der Drache war schnell. Wie ein Fisch schwang er herum, die Harpune flog und knallte gegen den Rahmen der offenen Tür – und dann liegt Comeragh, ich weiß nicht wie, ganz plötzlich auf dem Boden, die Bestie rennt und schnappt und geifert, er schiebt sich weg, mit rutschenden Absätzen, tritt das Tier, aber alles umsonst, denn nun klappt es sein langes Krokodilmaul weit auf und schlägt seine Zähne in Comeraghs Bein, direkt unter dem Knie, und der stößt einen einzigen furchtbaren Schrei aus, bei dem alle wieder losrennen. Der Drache schlenkert mit dem Kopf, Comeraghs Kopf schnellt zurück, der Drache lässt das Bein fahren und fegt
in die kreischende Menge, die auseinanderstiebt, als würde sie in einem Topf umgerührt, und die Flucht ergreift. Ich sprang hinunter, sah Abel Roper, der sich neben Comeragh aufs Knie fallen ließ, hörte Comeragh wild und anhaltend fluchen. Ich rannte mit den anderen. Und da war dieses schreckliche Ding, schwenkte seine fetten Beine und kroch über das Achterdeck zurück. Und dann kam das Ende ganz plötzlich, so wie meistens, eine Flutwelle aus Hass, ein Riesenbrecher, trieb das Geschöpf über Bord. Hass schoss aus den Luken und von den sicheren Hochsitzen herab, in einer schreienden, brüllenden Woge, der ich mich triumphierend anschloss. Wir waren Legion. Wir kamen von allen Seiten, und der Drache hatte keine Chance. Jemand schob den Riegel der Achtersicherung beiseite und öffnete das Schiff, jetzt konnten wir ihn über Bord treiben, und er flog, mit lächerlich ausgebreiteten Beinen, ein gespreizter Narr, der auf Luft lief und wild um sich trat, dann – eine Explosion, ein Loch im schwarzen Ozean, der eine weitere Gabe empfing.
    Weg.
    Beifall brandete auf. Wir hielten uns an der Reling fest, beugten uns vor und sahen hinunter. Er musste ziemlich tief gesunken sein, denn es dauerte mehrere Atemzüge, bis sein großer Kastenkopf nach oben kam. Erneuter Beifall. Er tauchte wieder, diesmal absichtlich; kam wieder hoch, schüttelte den großen Buckelrücken, zog einen kleinen Kreis, ungemein anmutig. Und fort schwamm er, durchpflügte mit den Vorderbeinen die Wellen in stetigem Nordwestkurs, schwamm fort in die Dunkelheit, um nie mehr gesehen zu werden.
    Tim stand neben mir an der Reling. Dan Rymer war hinter ihm, legte uns seine Arme um die Schultern und verbreitete Bieratem. »Da zieht unser Glück hin, Jungs«, sagte er leise. »Da schwimmt unser Glück davon.«
     
    »Wie ist er rausgekommen?«, brüllte der Kapitän.
    »Skipton!« Rainey packte Skip an den Schultern. »Du warst das, nicht?«
    »Du warst das, nicht?«, sagte Skip mit einfältigem Lächeln.
    »Du warst da, ich hab dich gesehen. Du hast ihn rausgelassen, so war's doch, oder?«
    »Du hast ihn rausgelassen, so war's doch, oder?«, wiederholte Skip.
    Rainey schlug ihm hart ins Gesicht, und er ging zu Boden.
    »Mr Comeragh ist schlimm verletzt worden«, sagte Sam Proffit, der neben dem Kapitän auftauchte. »Verdammt schlimm.«
    »Blödmann!« Raineys Stiefel traf Skip in die Seite. »Dieses Ding hätte töten können. Steh auf! Steh auf, du Hurensohn!«
    Immer noch leer lächelnd stand Skip schwankend auf und hielt sich eine Hand unsicher an die Stirn.
    Der Kapitän machte ein betont ruhiges Gesicht, kochte aber sichtlich vor Wut. »Mr Skipton«, sagte er, »du hast das gesamte Schiff schwer gefährdet.«
    Skip lachte, ein rauer, lauter, trockener Husten, der aus seiner Kehle brach. Im selben Moment spritzte Blut aus seiner Nase und lief an ihm hinunter

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