Der Atem des Jägers
Hunger.«
»Wann haben Sie zuletzt gegessen?«
Sie antwortete nicht.
»Sie müssen etwas essen. Was kann ich Ihnen holen? Selbst wenn es etwas Kleines ist.«
»Mir egal.«
Er stand auf. »Pizza?«
»Warten Sie«, sagte sie und ging in die Küche. Ein kleines Heftchen klebte mit einem Magneten an dem großen, zweitürigen Kühlschrank.
»Die können liefern«, sagte sie und brachte ihm die Übersicht. Sie setzte sich wieder. »Ich möchte nicht, daß Sie jetzt gehen.«
»Wo sind die beiden Polizisten, die vor der Tür standen?«
»Ich weiß nicht.«
Er blätterte in dem Heft. »Was möchten Sie?«
»Mir egal. Bloß keinen Knoblauch oder Zwiebel.« Dann korrigierte sie sich. »Ist auch egal. Irgendwas.«
Er zog sein Handy heraus, rief an, bestellte. Er zögerte, als man ihn nach der Adresse fragte; sie nannte sie. Dann sagte
er, er müsste noch einen Anruf erledigen, und fragte, ob er hinaus |315| auf den Balkon gehen könne. Sie nickte. Er schob die Tür auf und ging hinaus. Der Wind wehte. Er schloß die Tür hinter sich
und suchte Ngubanes Nummer im Speicher.
»Tim, wußtest du, daß die Leute vom Organisierten Verbrechen die Mutter nicht mehr bewachen?«
»Nein. Ich war heute noch nicht dort. Ich habe angerufen, aber sie hat nichts gesagt.«
»Herrgott, was für Idioten!«
»Vielleicht denken sie, daß sie nicht mehr in Gefahr ist.«
»Vielleicht denken sie auch, daß es nicht mehr ihr Problem ist.«
»Was können wir tun?«
»Ich habe keine Leute übrig. Mein gesamtes Team ist in Camps Bay in Einsatz.«
»Ich spreche mit dem Sup.«
»Danke, Tim.«
Er schaute über die Stadt. Die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Fenstern der Hotels im Bereich The Strand. War
sie in Gefahr? Sein Team behielt Sangrenegra im Auge. Dessen vier Knochenbrecher saßen noch im Knast.
Boef Beukes würde es wissen. Er würde wissen, welche Mittel Sangrenegra zur Verfügung standen. Wie viele Männer er hatte,
die nicht in Camps Bay wohnten. Es mußte mehr geben. Helfershelfer, Assistenten, Mittelsmänner, man konnte so viel Drogen
nicht mit fünf Leuten verkaufen. Er rief bei seiner Abteilung an und fragte, ob Captain Helena Louw noch da sei. Sie stellten
ihn durch und er fragte, ob sie Boef Beukes Handynummer habe.
»Augenblick«, sagte sie. Er wartete, bis sie zurückkam und sie ihm nannte.
»Danke, Captain.« Konnte er ihr trauen? Obwohl Häusliche Gewalt zum Organisierten Verbrechen gehörte? Wo lagen ihre Loyalitäten?
Er rief Beukes an.
»Hier ist Benny, Boef. Ich möchte wissen, warum du Christine van Rooyens Bewachung abgezogen hast.«
|316| »Es ist jetzt deine Show.«
»Herrgott, Boef, findest du nicht, du hättest uns das sagen können?«
»Hast du uns irgendwas gesagt? Als du dich entschieden hast, Carlos als Köder einzusetzen. Hattest du den Anstand, dich mit
uns abzusprechen?«
»Interessierst du dich überhaupt für ihre Sicherheit?«
»Es ist eine Frage von Mannstunden.« Aber es lag noch etwas in seiner Stimme. Er log.
»Scheiße«, sagte Griessel. Er beendete den Anruf und stand mit dem Handy in der Hand da. Er dachte: Das ist das Problem mit
der verdammten Polizei, die Eifersucht, der Wettbewerb, jede Kostenstelle sollte Gewinne erzielen, und jeder riskierte immer
alles, weil niemanden irgend etwas wirklich etwas anging. Und jetzt versuchten sie auch noch, einander fertigzumachen.
Commissioner John Afrika hatte ihn angerufen, als er unterwegs zu Christine van Rooyen war. Benny, sind Sie nüchtern? hatte
er gefragt. Und er hatte gesagt: »Ja, Commissioner«, und John Afrika hatte ihn gefragt: »Bleiben Sie nüchtern?« Und er hatte
gesagt: »Ja, Commissioner.« Afrika sagte: »Ich werde herausfinden, wer mit den Zeitungen gesprochen hat, Benny. Matt Joubert
sagt, Sie sind der Beste, den er hat. Er sagt, mit Ihnen sei alles in Ordnung, und das ist gut genug für mich, Benny, haben
Sie verstanden? Ich stehe zu Ihnen, und ich werde das auch den Zeitungen sagen. Aber, Scheiße, Benny, wenn Sie mich im Stich
lassen …«
Wenn er den Commissioner im Stich ließ, konnte der seine Kostenstelle dichtmachen.
Aber er freute sich darüber, daß der Mann zu ihm stand. Ein Farbiger. Er war abhängig von der Gnade eines Farbigen, der früher
soviel Scheiße von den Weißen hatte schlucken müssen. Wieviel Gnade hatte John Afrika damals erfahren?
Er hatte gesagt: »Ich werde Sie nicht im Stich lassen, Commissioner.«
|317| »Dann sind wir uns einig, Benny.«
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