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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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einen Wasserkocher, ein
     kleines Radio. Die Liste wurde immer länger und ihr Kontostand immer niedriger, bis sie Arbeit als Kellnerin in einem großen
     Coffee Shop in der Long Street fand. Sie nahm so viele Schichten an, wie sie konnte, solange sie noch die Ausbeulung unter
     ihren Brüsten verbergen konnte.
    Die Zahlen auf den Kontoauszügen beherrschten ihr Leben. Sie war von ihnen besessen. Sechs-acht-null war das erste Ziel jeden
     Monat, die unverhandelbare Mietzahlung. Das war der Niedrigwasserstand ihrer Buchhaltung und der Grund für ihre unruhigen
     Träume des Nachts. Sie entdeckte den Flohmarkt um Green Point Stadium und verhandelte den Preis jedes einzelnen Teiles. In
     den Secondhand-Shops in Gardens und in der |113| Kloof Street kaufte sie eine Wiege, ein Fahrrad und einen rotblauen Teppich. Sie strich die Wiege auf dem Dach mit weißer
     ökologischer Farbe, und als sie feststellte, daß sie Lack übrig hatte, verpaßte sie auch dem alten, gelb-grünen Rennrad mit
     den schmalen Reifen und dem Rennradlenker ein paar Schichten.
    In einer Ausgabe der
Cape Ads
, die jemand im Coffee Shop hatte liegenlassen, fand sie eine Anzeige für eine Baby-Rückentrage. Sie rief an, handelte den
     Preis herunter und ließ die Trage liefern. Sie würde es ihr erlauben, mit dem Fahrrad, das Baby auf dem Rücken, am Berg oder
     am Meer entlang nach Mouille Point zu radeln, dort gab es Schaukeln und Klettergerüste und sogar einen Kinderzug.
    Jeden Samstag investierte sie zwanzig Rand, um Lotto zu spielen, und dann saß sie vor dem Radio und wartete auf die Gewinnzahlen,
     die sie mit Kugelschreiber auf den Kärtchen markiert hatte. Sie träumte davon, was sie mit dem Jackpot machen würde: Ein Haus
     stand ganz oben auf der Liste, eines dieser modernen Schlößchen am Hang des Berges, mit automatischen Garagentüren, persischen
     Teppichen auf dem Boden, Kelims und Gemälden an den Wänden. Ein großes Kinderzimmer mit Möwen und Wolkenbildern an der Decke
     und einem Berg leuchtendbunter Spielzeuge auf dem Boden. Ein Land Rover Discovery mit Kindersitz. Ein begehbarer Schrank voll
     Designer-Labels, die Schuhe in ordentlichen Reihen am Boden. Eine Espressomaschine. Ein doppeltüriger Kühlschrank aus Edelstahl.
    Eines Nachmittags gegen drei Uhr saß sie mit einem Becher Instantkaffee auf dem Dach, als sie den Klang von Sex aus einer
     der Wohnungen unter sich heraufdriften hörte. Eine Frauenstimme, ah-ah-ah-ah, erklomm langsam die Stufen der Ekstase, jedes
     Mal ein wenig höher, ein wenig lauter. In den ersten Minuten waren die Geräusche bedeutungslos, bloß Stadtlärm, aber dann
     erkannte sie sie und lächelte, zu dieser ungewöhnlichen Zeit, über ihren Ohren-Voyeurismus. Sie fragte sich, ob sie die einzige
     Zuhörerin war oder ob noch |114| andere die Rufe hörten. Sie verspürte eine leichte sexuelle Erregung in ihrem Körper. Gefolgt von Neid, als der Klang beschleunigte,
     schneller, lauter, höher. Der Neid dehnte sich aus auf alles, was sie nicht hatte, bis der schrille Orgasmus sie aufstehen
     und den Arm mit der fast leeren Kaffeetasse krümmen ließ, sie wollte sie gegen alles schmettern, was sich gegen sie verschworen
     hatte. Sie zielte nicht auf irgend etwas Bestimmtes, ihre Wut war viel zu allgemein. Wut über die Einsamkeit, die Umstände,
     die verpaßten Chancen.
    Sie warf sie nicht. Sie ließ langsam den Arm sinken, sie wollte keine neue Tasse bezahlen müssen.
    Anfang März konnte sie den Anruf nicht mehr länger vor sich her schieben. Sie fuhr bis zur Waterfront zu einer Telefonzelle,
     nur falls sie den Anruf zurückverfolgten. Sie rief ihre Mutter in der Anwaltskanzlei an, wo sie arbeitete. Es war ein kurzes
     Gespräch.
    »Mein Gott, Christine, wo bist du?«
    »Ich hab’s geschmissen, Mom. Es geht mir gut. Ich habe einen Job. Ich wollte bloß …«
    »Wo bist du?« Die Stimme voll Hysterie. »Die Polizei sucht bereits nach dir. Dein Vater bekommt einen Herzanfall, er ruft
     sie jeden Tag in Bloemfontein an.«
    »Mom, sag ihnen, daß sie aufhören sollen. Sag ihm, daß ich seine Beterei und seine Religion satt habe. Ich bin nicht in Bloemfontein,
     er wird mich nicht finden. Es geht mir gut. Ich bin glücklich. Laßt mich einfach allein. Ich bin kein Kind mehr.« Sie konnte
     nicht sagen, woher die Wut kam. Hatte die Angst sie freigesetzt?
    »Christine, das kannst du nicht machen. Du kennst deinen Vater. Er ist außer sich. Wir machen uns schreckliche Sorgen um dich.
     Du bist unser Kind.

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