Der Atem des Jägers
wieder begehen.« Der Mann klang erschöpft.
»Korrekt formuliert.«
»Ja.«
»Unterscheidet sich das von der Wirklichkeit?«
»Nein.«
»Ich habe das Gefühl, Sie sind nicht begeistert von der korrekten Formulierung.«
»Es geht nicht um Begeisterung. Es geht um Grammatik.«
»Aha?«
»Können wir
off the record
sprechen, Mr. Nuluwazi?«
Er ignorierte den falsch ausgesprochenen Namen. »Natürlich.«
»Und Sie werden mich nicht zitieren?«
»Sie haben mein Wort.«
Der Professor schwieg wieder einen Moment, bevor er sprach; als müßte er etwas abwägen.
»Es ist so, daß ich nicht glaube, daß sie
überhaupt
rehabilitiert werden können.«
»Gar nicht?«
»Es ist eine schreckliche Krankheit. Und noch haben wir kein Heilmittel. Und egal, wie gern wir glauben möchten, daß wir uns
einer Lösung nähern, es scheint keine zu geben.« Immer noch klang er verzweifelt, entsetzlich erschöpft. »Sie werden aus dem
Gefängnis entlassen und haben früher oder später einen Rückfall. Und die Schäden bei den Kindern sind groß. Unermeßlich. Mißbrauch
zerstört Leben. Absolut und vollständig. Das ist ein Trauma, das Sie sich gar nicht vorstellen können. Und es scheinen von
Jahr zu Jahr mehr zu werden. |118| Entweder liegt es an unserer Gesellschaft, daß es immer mehr von ihnen gibt, oder die Gesetzlosigkeit in diesem Land schafft
ihnen den Freiraum, aus dem Unterholz zu kriechen. Ich weiß es nicht …«
»Sie sind also dafür, sie nicht wieder freizulassen?«
»Hören Sie, ich weiß, daß es unmenschlich ist, sie ewig einzusperren. Pädophile haben es im Gefängnis nicht leicht. Dort gelten
sie als absoluter Abschaum. Sie werden vergewaltigt, geschlagen und gedemütigt. Aber sie sitzen ihre Strafe ab und absolvieren
die Kurse, und dann kommen sie raus und machen weiter. Manche gleich, manche ein oder zwei oder drei Jahre später. Ich weiß
auch nicht, wie die Antwort lautet, aber wir müssen eine finden.«
»Ja«, sagte Thobela. »Wir müssen eine finden.«
Wie öde der Alltag des Priesters sein mußte, denn er saß immer noch mit dem gleichen Interesse hier. Er hörte ihr immer noch
aufmerksam zu, sein Ausdruck war von neutralem Mitgefühl, seine Arme lagen entspannt auf seinem Schreibtisch. Es war still
im Haus, draußen auch, nur das Surren der Insekten war zu hören. Sie fand das eigenartig, sie war an das endlose Rauschen
des Verkehrs gewöhnt, an die Leute, die zu jeder Zeit in der Stadt unterwegs waren. Immer irgendwohin unterwegs.
Hier konnte man nirgendwo hin.
»Ich hatte kein Geld mehr. Wenn man kein Geld hat, muß man Zeit haben, um mit seinem Kind in langen Schlangen zu stehen, damit
es geimpft wird, Hustensaft bekommt oder ein Mittel gegen Durchfall. Wenn man ein Kind hat und arbeiten muß, muß man für Kinderbetreuung
bezahlen. Und wenn man als Kellnerin arbeitet, dann muß man extra bezahlen, daß jemand in der Nacht nach ihr schaut. Und dann
muß man um ein Uhr nachts mit seinem Baby zurück in die Wohnung, mitten im Winter, oder man muß ein Taxi bezahlen. Und wenn
man nicht nachts arbeiten will, dann verpaßt man die Schichten mit den besten Trinkgeldern. Also kauft man sich selber |119| nichts, und man versucht es eine Woche, zwei Wochen, man versucht es immer weiter, bis man kapiert, daß man einfach nicht
gewinnen kann.
Ich konnte nicht mehr, es war einfach zu viel. Jeden Montag las ich die Stellenanzeigen in der Beilage der
Times
und reichte meinen Lebenslauf für jede nur mögliche Position ein, Sekretärin, Arzneimittelverkäuferin, Sachbearbeiterin. Wenn
man Glück hat, laden sie einen zum Kennenlernen ein, und dann läuft es immer gleich. ›Keine Erfahrung? Oh, Sie haben ein Kind.
Sind Sie geschieden? Oh. Tut mir leid, wir wollen jemanden mit Erfahrung. Wir wollen jemanden mit einem Auto. Wir brauchen
jemanden, der Buchhaltung gelernt hat. Tut mir leid, wir wollen eine Minderheit fördern.‹ Ich habe im Coffee Shop gekündigt,
weil es zuwenig Trinkgeld gab, aber es war immer noch Winter, das ist Nebensaison. Ich arbeitete im
Trawlers
, einem Fischrestaurant in der Kloof Street, und eines Nachts sagte ein Typ: ›Willst du echtes Geld verdienen?‹ Und ich sagte:
›Klar.‹ Daraufhin fragte er mich: ›Wieviel?‹, aber ich begriff gar nicht und sagte: ›So viel wie ich kriegen kann.‹ Da sagte
er: ›Dreihundert Rand‹, und ich fragte: ›Dreihundert Rand – pro Tag?‹ Da grinste er und sagte: ›Genaugenommen pro
Weitere Kostenlose Bücher