Der Atem des Jägers
Colesberg. Dann spürte ich zum ersten Mal Sonias Füßchen, als wollte sie mir sagen, es reicht,
wir müssen uns zusammenreißen, es kommt schon in Ordnung. Da wußte ich, daß ich sie nicht aufgeben würde.«
Griessel fand, wonach er suchte, in den drei Berichten der Spurensicherung. Er ging hinüber zu Matt Jouberts Büro und wartete,
bis der Senior Superintendent seinen Anruf erledigt hatte.
»Der Bericht der Spurensicherung schließt ein Assegai nicht aus«, sagte Joubert in den Hörer, »aber sie müssen noch mehr Tests
durchführen, das dauert einige Zeit. Sie müssen in ein oder zwei Tagen wieder anrufen … Genau … Keine Ursache … Danke. Wiederhören.«
Er schaute auf und sah Griessel. »Gut, daß du wieder da bist, Benny. Wie geht es dir?«
»Erschreckend nüchtern. Was war das mit dem Assegai?«
»Die Enver-Davids-Sache. Plötzlich hat der
Argus
alle möglichen Fragen. Ich kann spüren, daß sich da etwas zusammenbraut.«
Griessel legte die Berichte der Spurensicherung vor Joubert auf den Tisch und sagte: »Das Schwein spricht sie bei Woolworth
an. Freitagnachmittag. Sieh mal, es ist mir nicht aufgefallen, weil ich nicht wußte, wonach ich suche, aber die Spurensicherung
ist die Mülleimer aller drei Opfer durchgegangen, und in zweien davon steckten
Woollie -
Tüten und Bons, und im dritten bloß ein Bon, aber alle drei waren dort, an der Waterfront, am Freitag der Morde, zwischen
… halb fünf und sieben Uhr abends.«
Joubert betrachtete die Listen. »Das ist dünn, Benny.«
|111| »Ich weiß, aber heute morgen habe ich mit Expertinnen gesprochen, Matt. Es sieht so aus, als würden nur noch alte verheiratete
Säcke wie wir glauben, daß man im Supermarkt bloß Gemüse kauft.«
»Das mußt du mir erklären«, sagte Joubert und fragte sich, wie lange dieses Licht in Griessels Blick leuchten würde.
Thobela fand in der Church Street Mall eine Telefonzelle, die noch Münzen nahm, und suchte in dem zerfledderten Telefonbuch
die Nummer der psychologischen Fakultät der Universität Kapstadt. Er rief an und bat darum, Professor David Ackerman zu sprechen.
»Er ist gerade bei der Visite. Worum geht es?«
»Ich recherchiere einen Artikel über Kindesmißbrauch. Ich habe nur ein paar Fragen.«
»Für welche Publikation?«
»Ich arbeite frei.«
»Professor Ackerman hat viel zu tun …«
»Ich brauche nur ein paar Minuten.«
»Ich kann Sie zurückrufen, Sir.«
»Ich bin viel unterwegs – darf ich morgen wieder anrufen?«
»Mit wem spreche ich?«
»Pakamile«, sagte er. »Pakamile Nzululwazi.«
16
Zuerst war das Kap nicht gut zu ihr.
Erstens wehte der Wind Tag um Tag, ein stürmischer Südost. Dann klauten sie ihr im Backpackers in Kloof Nek ihren einzigen
Koffer; sie teilte sich für hundert Rand die Nacht ein Zimmer mit fünf arroganten jungen deutschen Touristen. Es gab nur wenige
Wohnungen, und sie waren teuer, der öffentliche Nahverkehr war kompliziert und unzuverlässig. Einmal ging sie zu Fuß bis nach
Sea Point, um sich eine Wohnung |112| anzusehen, aber es war ein enttäuschendes Loch mit einer zerbrochenen Fensterscheibe und Graffiti an den Wänden.
Sie blieb zwei Wochen im Backpackers, bevor sie ein Dachzimmer in einem alten Wohnblock in der Belle Ombre Street in Tamboers
Kloof fand. Ein ehemaliger Abstellraum war umgebaut worden in eine kleine, nette Einzimmerwohnung – Bad und Toilette an einer
Wand, Spüle und Küchenzeile an der anderen, dazu ein Bett, ein Tisch und eine alte, wackelige Garderobe. Eine weitere Tür
öffnete sich zum Dach, von wo aus sie den Halbmond der Stadt sehen konnte, den Berg und das Meer. Wenigstens war es sauber
und ordentlich, 680 Rand pro Monat.
Ihr größtes Problem steckte in ihrem Inneren, denn sie fürchtete sich – sie fürchtete sich vor der Geburt, die jeden Tag näher
rückte, sie fürchtete sich davor, hinterher für das Baby sorgen zu müssen, sie fürchtete sich vor der Verantwortung, sie fürchtete
sich vor der Wut ihres Vaters, wenn sie anrief oder einen Brief schrieb … Sie hatte sich noch nicht entschieden, welches von
beidem. Vor allem aber fürchtete sie sich, daß ihr das Geld ausging. Jeden Tag überprüfte sie ihren Kontostand am Geldautomaten
und verglich die Summe mit der Liste der wichtigsten Dinge, die sie brauchte: Wiege, Babysachen, Windeln, Fläschchen, Milchpulver,
Decken, einen Topf, eine Pfanne, einen Zweiplattenherd, einen Becher, Teller, Messer, Gabel, Löffel,
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