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Der Atem des Rippers (German Edition)

Der Atem des Rippers (German Edition)

Titel: Der Atem des Rippers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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es hervor und schob es unter das Bett.
    „Haben Sie schon gegessen?“
    „Nein, ich … Das heißt, ja: Auf dem Weg hierher hatte ich eine Portion französische Kartoffeln. Ich bin nicht hungrig. Vielen Dank, Mrs. Spareborne, Sie sind sehr …“
    „Spearson, Mr. Sickert, Spearson“, kam es leicht indigniert zurück. Und dann fügte sie, mit wesentlich lauterer Stimme, hinzu, so dass es jeder ihrer Mieter hören konnte: „Wer heißt schon Spareborne?“
    Walter Sickert, dem der Schweiß ausbrach, antwortete nichts und wartete mit pochendem Herzen ab, bis sich die schweren Schritte der dickleibigen Hausmutter im Flur verloren hatten.
    24. Juli 1888
    Hatte eine böse Auseinandersetzung mit dem Priester. Als er mich wieder einmal zu einem dieser törichten Bazare schicken wollte, hatte ich mich nicht dazu imstande gefühlt. Ja, ich war hinausgegangen, ich war zu Fuß durch Whitechapel in Richtung Spitalfields gelaufen, zornig und unruhig, aber gewillt, seinen Auftrag auszuführen. Doch in den Straßen von Whitechapel hatte ich es mit der Angst zu tun bekommen.
    Es war helllichter Tag, und ich hatte einen unbedachten Blick in einen Hinterhof geworfen, wo ein kleinwüchsiger Mann auf einer Obstkiste stehend mit einem Straßenmädchen geschlechtlichen Verkehr ausübte. Ganz in der Nähe stand jemand, der den beiden ausgesprochen amüsiert dabei zusah. Nicht, dass mich dieser Anblick wirklich schockierte. Ich ging weiter und hatte ihn bald verdrängt. Der Gedanke allerdings, in wenigen Stunden, wenn der Bazar zuende und die Sonne längst untergegangen sein würde, denselben Weg wieder zurückgehen zu müssen, jagte mir eine Gänsehaut über den ganzen Leib, dass ich zunächst erstarrte und kurz darauf bibbernd zurück zur Kirche lief, die ganze Meile dorthin, um mir die Reliquie des Lazarus auszuleihen und unter ihrem Schutz meinen Weg erneut anzutreten.
    Ein Gefühl der Stärke erfüllte mich, und ich nahm in voller Absicht denselben Weg durch die schmutzigsten Straßen Whitechapels noch einmal. Die Obstkiste lag noch immer an Ort und Stelle, doch die drei Menschen waren längst verschwunden. Auch der Rückweg machte mir nun nichts mehr aus, da ich Lazarus’ Rippe in einer Tasche unter meinem Kirchengewand spürte. Ich machte sogar noch einen Umweg und schlenderte durch einige finstere Stadtteile, wie jemand, der gegen jede Gefahr immun ist.
    Als ich St. Patrick’s gegen acht Uhr abends betrat, wartete Henry Ouston, der Priester, auf mich. Gewöhnlich war er um diese Zeit längst zu Bett gegangen, da er meist gegen vier Uhr aufstand, doch offenbar hatte er das Fehlen der Reliquie bemerkt. Er musste eine Ahnung gehabt haben, sonst wäre ihm das Verschwinden des winzigen Rippenstücks kaum aufgefallen.
    „Ich bringe sie zurück“, meinte ich mit leiser Stimme und versuchte, an ihm vorbei in den Altarbereich zu gelangen. Er versperrte mir den Weg.
    „Ich verbiete Ihnen, die Reliquien in der Stadt herumzutragen“, sagte er. Es war, als spräche ein Schullehrer zu einem kleinen Jungen.
    „Ich brauchte ihren Schutz.“
    „Es ist nicht gut, die Körper der Heiligen zu benutzen wie die Heiden ihre Amulette und Talismane.“
    Ich dachte lange über diese Worte nach und tue es noch immer. Wenngleich ich es für nötig erachte, zwischen Christen und Heiden eine klare Grenze zu ziehen, denn die einen sind dem Herrn begegnet, während die anderen fantastischen Abgöttern nachjagen, erachte ich es nicht für zwingend, zwischen Reliquien und Amuletten zu unterscheiden. In den Gebeinen der Heiligen wirken die ewigen Kräfte der edlen Seelen, die Gott unsterblich gemacht hat. Wenn es auf dieser Erde ein Amulett gibt, das eine wahre Wirkung zeigt, nicht nur eine eingebildete, durch Aberglauben erzeugte, dann muss es eine Reliquie sein.
    Vorsicht vor dem Irrglauben ist angebracht und wichtig. Doch in diesem Fall führt übertriebene Vorsicht dazu, an der Herrlichkeit und Macht Gottes zu zweifeln. Die Rippe des Lazarus, meines Schutzheiligen, hat mich unbeschadet durch den finstersten Teil Londons geführt. Dies zu leugnen wäre ein Sakrileg.
    Ich sagte nichts und gebe mich ohne Widerrede der Strafe hin, die der Priester mir auferlegt hat. Einen Tag und eine Nacht sitze ich in einer kleinen Kammer ohne meine Bücher. Es ist vielleicht gut, einmal in Ruhe nachsinnen und beten zu können.
    Als Sickert den eben gelesenen Absatz mit dem folgenden verglich, fiel ihm auf, dass sich die Schrift verändert hatte. Sie war unsteter und

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