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Der Atem des Rippers (German Edition)

Der Atem des Rippers (German Edition)

Titel: Der Atem des Rippers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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unklarer geworden. Trotzdem bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, die gehetzt wirkenden Lettern zu entziffern …
    29. Juli 1888
    Etwas Schreckliches ist geschehen.
    Ich spüre, wie das Fieber nach mir greift, das der Schock weckte, und ich will diese Zeilen niederschreiben, ehe die Krankheit meine Sinne umnebelt.
    Ich soll diesen Ort verlassen – St. Patrick mit den Körpern der Heiligen, London, England, ja, sogar Europa! Die Welt, in der es Gotteshäuser, Heilige Schriften und fromme Gebete gibt, soll ich hinter mir lassen und in ein Land reisen, das von alldem noch nie gehört hat. Nach Burma will man mich aussenden, nach Britisch-Indien, in eine Stadt namens Mandalay, von der ich noch nie gehört zu haben glaube. Als Missionar soll ich gehen und die Menschen dort zu Gott bekehren, ihnen von der Heiligen Schrift erzählen, die noch niemand in ihre Sprache zu übersetzen sich die Mühe machte.
    Eine Reise ins Nichts verlangt man von mir. Angeblich herrscht großer Mangel an katholischen Missionaren, und der Bischof wählte nach mir unbekannten Kriterien Männer für diese Aufgabe aus. Ich bin mir ganz sicher, dass Pater Henry Ouston seine Hände im Spiel hat. Obwohl ich ihn als Mensch und als Mann der Kirche schätze, sind in den letzten Wochen unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten zwischen uns zutage getreten, und als einzige Lösung dafür mag es ihm erschienen sein, meine Aussendung als Missionar zu erwirken.
    Ein kluger, wenngleich unmenschlicher Plan. Die Zusammenhänge liegen klar vor mir. Und auch, dass man es mir nicht gestatten wird, einige der mir so teuer gewordenen Reliquien mit in die barbarische Fremde zu nehmen, steht außer Zweifel!
    Eine schreckliche Mattheit erfasst mich bereits jetzt. Mitte November, so teilte man mir mit, solle ich gehen. Vier Monate oder fünf bleiben mir im Kreise meiner Heiligen. Vielleicht entwickle ich ein Fieber, das mich hinweg rafft von dieser Erde, ehe der Termin herbei rückt.
    Vor zwei Wochen war ich noch das Glück in Person. Heute wünsche ich mir den Tod. Warum lässt man mich etwas aufbauen, um es dann wieder zu zerstören? Was soll ich tun? Wenn mir doch der Herr nur ein Zeichen schickte …
    Die Schrift verschlechterte sich zusehends, und an einigen Wörtern hing der Maler minutenlang, um sie zu entschlüsseln. Niemand konnte so etwas imitieren. Jede der Qualen in Alan Sparebornes Seele spiegelte sich in diesen gepeinigten Lettern, und nicht selten war die Schrift von seinen Fingern verwischt worden. Seine Hände mussten schwarz gewesen sein von der Tinte, besudelt, wie sie es später vom Blut seiner Opfer sein würden …
    6. August 1888
    Eine Woche liege ich schon im Fieber, und keine Aussicht auf Besserung. Der Pater wirft mir vor, mir die Krankheit selbst zuzufügen. Er gibt mir zu verstehen, der Bischof werde seine Entscheidung unter keinen Umständen zurücknehmen und mich notfalls in siechendem Zustand nach Asien verschiffen.
    Was versteht er schon von Entscheidungen und Krankheiten? Meine Gedanken kreisen immer mehr darum, wie ich mich schützen kann, wenn ich denn tatsächlich ins ferne Burma zu reisen gezwungen sein werde. Die Reliquien zu stehlen, sie durch Imitate zu ersetzen, das könnte eine Lösung sein. Doch der Pater wird damit rechnen, dass ich es tue. Er wird es zu verhindern wissen.
    Ich muss einen anderen Weg finden. Entweder muss ich auf diesem Krankenlager sterben, oder ich habe gewappnet zu sein, wenn ich die große Reise antrete. Keinen Tag könnte ich an Bord eines Schiffes zubringen, ohne mir des Schutzes der heiligen Amulette sicher zu sein.
    Jetzt habe ich niedergeschrieben, was meine Gedanken schon seit Tagen beherrscht. Amulett – das ist das verbotene, das ketzerische Wort. Und doch trägt es die Wahrheit in sich. Schon einmal habe ich ein ketzerisches Wort ausgesprochen und den Sieg davongetragen. „Schweinsleber“ hatte ich etwas genannt, das kein geringerer als der Papst als Heiligtum bezeichnete. Die Wahrheit ist stärker als Kirchenränge. Mein Wissen, meine Vernunft und meine Intelligenz hatten mir die Wahrheit verraten, und Gott belohnte mich dafür. Soll ich mich jetzt davor scheuen, etwas bei dem Namen zu nennen, den ein gewöhnlicher Priester für unangebracht hält?
    Amulett. Amulett. Amulett. Der Schutz der Reliquie macht mich unbesiegbar. Ohne sie bin ich ein Nichts.
    Heiliger Lazarus, hilf mir! Sende mir ein Zeichen! Unser Herr Jesus Christus hat dich auf das Flehen deiner beiden Schwestern Martha und

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