Der Atem des Rippers (German Edition)
Ich habe das Gefühl, sie möchte sich setzen und mich etwas fragen, doch auf dem einzigen Stuhl liegen meine Kleider – bin ich überhaupt recht angezogen? –, und ich bitte sie aufs Bett. Ein Unding; ich bin wie ein Träumender, wie ein Übermensch, der sich alle Träume erfüllen kann, unbesiegbar und allmächtig. Der Hauch eines Heiligen lebt in mir, für wenige Stunden.
Sie redet sehr schnell, und ich verstehe nicht jedes ihrer Worte, aber ungefähr reime ich mir die Umstände zusammen: Offenbar spricht die ganze Stadt von seltsamen Begebenheiten unter der Basilika. Ein Fremder, ein Ketzer oder ein Heiliger, befand sich in den unterirdischen Hallen und entkam durch ein Wunder denen, die ihm nachstellten. Die Bevölkerung Paduas beginnt bereits, Geschichten rund um diesen mysteriösen Mann zu formen. Die Möglichkeit, es könne sich um den Satan in Verkleidung handeln, die von der Kirche vorgebracht wurde, findet unter den einfachen Menschen keine Akzeptanz. Man hat genug von Teufeln und Dämonen und möchte in ihm viel lieber etwas Schöneres sehen, etwas Himmlisches. Die halbe Stadt ist auf den Beinen, um ihm zu begegnen. Die Umgebung der Basilika ist ein Menschenmeer.
Das Mädchen ist sicher, dass ich es bin. Die kleine Italienerin sieht den Nachglanz des Wunders in meinen Augen. Und plötzlich ist sie nackt, und ihre großen Brüste drücken sich mir entgegen, scheuern an meinem Hemd, bis ich es abstreife. Sie wirft mich zurück aufs Bett, entblößt halb zärtlich, halb ungestüm meine Lenden und besteigt mich voll religiöser Verzückung wie eine Pilgerin einen heiligen Berg. Während ich unter ihrer warmen, feuchten Enge zu einem Stein erstarre, beginne ich meine Zukunft zu sehen.
Meine Zukunft als katholischer Priester.
Wer den Scharfblick hat, um die Zusammenhänge zu erkennen, wird der folgenden kurzen Erläuterung nicht bedürfen. Ich schreibe sie dennoch nieder, um Klarheit zu schaffen und keinen Raum für Spekulationen zu lassen – welche Blüten das wirre Spintisieren der im Geiste Armen zu treiben vermag, hat die wilde, ziellose Raterei bewiesen, mit der Polizei wie Presse auf die sogenannten Jack the Ripper-Morde reagierte. Von irren Frauenhassern, impotenten Adligen und rächenden Hebammen war die Rede, ein Kabinett der Absonderlichkeiten, das mehr über die Hirne der atemlosen Beobachter verrät als über jenen, der diese zugegebenermaßen ungewöhnlichen und tragischen Taten verrichtete.
Fassen wir zusammen: Gott hatte mir ein Zeichen geschickt, ein kohleartiges Stück Schweinsleber, eine billige Täuschung, aus der Hand eines geheimen Kirchenspötters vermutlich. Dass dieses nutzlose Stück Gewebe in den Gedärmen einer Kirche überhaupt aufbewahrt wurde, kann keinen anderen Sinn gehabt haben, als mir einen Schlüssel in die Hand zu geben – einen Schlüssel zu mir selbst.
Der Herr hatte sich nicht davor gescheut, selbst den Papst zu täuschen.
Dieser winzige Punkt war es, der mich damals restlos von der Macht und Absicht Gottes überzeugte und allen Zweifeln den Boden unter den Füßen wegzog. Für einen kurzen Augenblick hatte er mich über den Heiligen Vater gestellt, das Recht auf meine Seite und das Unrecht auf die seines Vertreters auf Erden gesetzt. Nein, es war kein Grund, hochnäsig zu werden. Es zeigte mir lediglich, zu welchen Maßnahmen der Herr zu greifen bereit war. Es hinterließ den tiefsten aller Eindrücke bei mir.
Gott war kein Kräuterdoktor, sondern ein Chirurg. Er kümmerte sich nicht um Traditionen oder Gepflogenheiten. Wenn es nötig war, machte er einen tiefen Schnitt. Das war es auch, was ich in meiner medizinischen Ausbildung hatte lernen müssen. Die Erziehung und beengende Moral abzuschütteln, wenn es darauf ankam, ein Menschenleben zu retten. Den Ekel und den kruden, verbogenen Respekt vor Blut und Innereien wegzuwerfen, blutbesudeltes Fleisch herauszuschneiden und zusammenzunähen, als hätte ich ein Kleidungsstück vor mir.
Gott hatte mir mit seiner Geste bewiesen, dass ich das richtige gelernt hatte. Er hatte meine Lehrmeister bestätigt. Er hatte mich bestätigt.
Er wollte, dass ich Priester wurde, ohne mein medizinisches Wissen zu vergessen oder zu verleugnen. Mit Sicherheit wollte er, dass ich mich mit Reliquien beschäftigte, mit jenen faszinierenden Schnittpunkten aus vergänglicher Körperlichkeit und ewiger himmlischer Macht. Welche Kraft in lebenden Körpern steckt, hatte mich mein Studium und meine Arbeitserfahrung gelehrt. Welche Kraft
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