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Der Atem des Rippers (German Edition)

Der Atem des Rippers (German Edition)

Titel: Der Atem des Rippers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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war.
    Ich schreibe diese Zeilen am frühen Morgen, noch vor fünf Uhr. Eben erst bin ich zurückgekehrt von den Straßen Londons und suche nun Zuflucht in den Mauern des Gotteshauses, das ich schon bald verlassen werde. Anstatt meine Aufschriebe im Schutz meiner Kammer zu machen, habe ich mich in die Obhut der Heiligen begeben. Alleine sitze ich im Kirchenschiff, in der ersten Bankreihe, nahe an den Altären und Gebeinen, und verfasse mein Tagebuch im Licht der ewig flackernden Kerzen, deren Flammen der Luftzug niemals zur Ruhe kommen lässt.
    Noch vor Mitternacht bin ich hinausgegangen, um mir mein eigenes Heiligtum zu holen – eines, das niemals im Besitz der Kirche war und dies niemals sein kann. Nicht von einer Frau, die der Papst heilig sprach, sondern von einer, die der Herr über die Natur selbst heiligte, wie er die Kohle im Schmutz der Berge zum Diamanten erhebt.
    Eine halbe Stunde lang verfolgte ich Mary. Sie trug ein braunes Kleid und einen rotbraunen Ulstermantel darüber, über den Kopf ein schwarzes Strohhäubchen. In dieser Nacht schien sie außergewöhnlich betrunken zu sein; sie war offenbar auf der verzweifelten Suche nach Freiern und fand auch rasch einen. Ich zog mich zurück und entfernte mich sogar ganz von Whitechapel. Ich fühlte mich sehr unsicher, sehr hin- und hergerissen, sehr sprunghaft. Seit um Mitternacht der Namenstag herangebrochen war, war ich wie verwandelt, voller Unruhe. Es muss schon beinahe drei Uhr gewesen sein, als ich in die Straßen von Whitechapel zurückkehrte, wo noch immer keine Stille eingekehrt war.
    Ich fand Mary erneut, wie ein Jagdhund, der eine einmal gerochene Fährte nie mehr verliert. Zu den Straßen, die sie mit Vorliebe ging, gehörte die breite, offene Baker’s Row, von der aus sich kleinere, dunklere Gassen in die ruhigeren Gebiete hin erstreckten. Anstatt sie zu beobachten, sprach ich sie an. Wie ein Verbrecher hatte ich darauf geachtet, dass niemand uns beobachtete. Wie ein Dieb führte ich sie in eine Gasse, deren Namen ich nicht kenne.
    Dort handelte ich sehr schnell. Ich wusste, dass sie nicht zum Schreien kommen durfte, damit man nicht auf mich aufmerksam wurde und mich, den kleinen Dekan, mit einem Dieb oder Mörder verwechselte. Es ist der Tag des Lazarus, und Lazarus ist der Schutzheilige der Metzger und Totengräber, nicht der Diebe und Mörder. Wäre ich ein Dieb oder ein Mörder, könnte ich keinen Schutz von ihm erwarten.
    Mit einer müden und tragischen Bewegung hob sie Röcke und Unterröcke hoch, nachdem sie mir den Rücken zugewandt hatte, als verachte sie mich. Ich packte ihre Kehle von hinten und drückte zu. Es war wegen des Schreis, und wenigstens in diesem Punkt war ich erfolgreich. Der Schrei blieb in ihr verborgen, ich schleuderte sie herum, und sie prallte gegen die Steinwand und sank daran zu Boden. Sofort hatte ich mein Köfferchen geöffnet, denn in Notfällen muss man schnell sein. Der erste Schnitt gehörte ihrer Kehle, um sicherzugehen, dass sie nicht mehr zu sich kam. Ich wollte nicht, dass sie leiden musste. Ich wollte auch nicht, dass sie die grauen Augen öffnete, mich vom Boden aus ansah, während ich mich mit dem Messer über sie beugte, und mich für ihren Mörder hielt. Ich bin nicht ihr Mörder. Ich bin ihr Metzger und Totengräber und Dekan.
    Meine Hände zitterten entsetzlich. Ich erinnere mich, dass ich zwei oder drei Versuche machte, an das zu kommen, weswegen ich hier war. Es gelang mir nicht. Bilder aus meinem Anatomiebuch standen klar und scharf umrissen vor meinem Auge in der Dunkelheit der Gasse. Ich wusste, wo ich zu suchen und wie ich zu schneiden hatte. Doch es gelang mir nicht, die Bilder mit ihrem Körper zu überlagern. Sie erschien mir fremd, eigen, unzugänglich, als passe sie nicht in das Muster, das ich gelernt habe. Als versuche ein Pferdemetzger ein Schwein zu zerlegen.
    Weinend verstaute ich das Messer in meinem Koffer und stahl mich davon wie ein erbärmlicher Taschendieb.
    Hier bin ich, zurück in St. Patrick’s, und ich habe Angst. Angst davor, den Heiligen Lazarus enttäuscht zu haben. Angst auch, mich in etwas verwandelt zu haben, als was er mir nicht mehr beistehen kann.
    Mary ist tot. Mary ist tot. Vor dieser Wahrheit darf ich die Augen nicht verschließen. Ich darf nicht so tun, als wäre ich in dieser Nacht nicht mit dem Tod eines Menschen konfrontiert worden. Es wäre ein Zeichen von Wahnsinn, wenn ich mir einredete, ich hätte nicht den Tod gesehen, sondern nichts als eine Frau, die

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