Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
nichts entgegenzusetzen. England unterlag den Invasoren. Harold wurde getötet, als ihn ein von einem normannischen Langbogen abgeschossener Pfeil ins Auge traf. Die Eroberung Englands durch die Normannen nahm ihren Anfang – und sie wirkt sich im kulturellen, politischen und sprachlichen Bereich bis heute aus.
3. Der Schauplatz des Geschehens erweitert sich
I n den vier Jahrhunderten, die sich an die Invasionen der Normannen anschlossen, konzentrierten sich die maritimen Aktivitäten der westlichen Länder in erster Linie auf das Mittelmeer. Vor allem auf die Kreuzzüge war es zurückzuführen, dass dieses Binnenmeer zu einem der vielen Schlachtfelder wurde, auf denen die europäischen Christen sich mit den immer schlagkräftiger werdenden Truppen des islamischen Nahen Ostens konfrontiert sahen. Ironischerweise sollte aber die wachsende Macht der muslimischen Welt – und insbesondere die spätere Unnachgiebigkeit der ottomanischen Türken – der Auslöser für einen umfassenden Wandel sein, was den Status des Atlantiks betraf. Dass der Atlantik für viele Jahrhunderte die Hauptverkehrsstraße für Kriegs- und Eroberungszüge der christlichen Nationen wurde und ihnen zur Verwirklichung ihrer imperialistischen Ambitionen diente, war eine unmittelbare Folge des Verhaltens der islamischen Völker im Mittelmeerraum.
Das hatte vor allem mit Spanien zu tun, das in den ersten Monaten des Jahres 1492 den endgültigen Sieg über die Mauren erzielte und damit erreichte, dass die islamischen Führer aus Granada und der Alhambra abzogen. Nach einem Interludium von ungefähr sieben Jahrhunderten war Spanien wieder ein geeintes christliches Königreich, bereit, seinen Platz unter den führenden Nationen Europas erneut einzunehmen. Es wurde auch sehr rasch zutiefst autoritär, was seine Einstellungen und Ziele betraf (so wurde zum Beispiel die Vertreibung oder Bekehrung der Juden gefordert). Seine Rückverwandlung in ein christliches Königreich ging mit dem Einnehmen einer imperialen Attitüde einher.
Es gab noch einen anderen Faktor, der aber eher geografischer als philosophischer Natur war. Im 15. Jahrhundert lag Spanien zwischen den beiden Meeren, deren Verhältnis zueinander und deren relative Bedeutung sich, wie man von heutiger Warte aus erkennt, plötzlich veränderten. Im Osten erstreckte sich das Mittelmeer, das an jedem Ende von Muslimen, den Mauren an dem einen und den Türken an dem anderen, blockiert war. Im Westen breitete sich der Atlantik aus – ein Gewässer, das mehr oder weniger frei von den beutegierigen, feindseligen Anhängern des Islam war und auf dem spanische Schiffe unbehelligt und unbelästigt segeln konnten. Die Spanier müssen also den Atlantik als ein Mittel angesehen haben, die imperialistischen Bestrebungen ihres Landes zu fördern, und sie begannen, das ihnen jetzt nicht mehr freundlich gesinnte Mittelmeer aufzugeben und zunehmend zu vergessen.
Portugiesische Seefahrer hatten bereits eine Route nach Asien entdeckt, waren dort auf die Gewürze, das Elfenbein, das Gold und die vielen anderen Schätze Indiens und Japans, Javas und Sumatras gestoßen. Doch seitdem Byzanz, bis dahin eine Bastion des Christentums, 1453 von den türkischen Ottomanen erobert worden war, waren die Handelsstraßen zwischen dem christlichen Okzident und den reichen und exotischen und möglicherweise christlichen – jedenfalls nicht muslimischen – Ländern im fernen Orient von den in der Mitte zwischen beiden Bereichen lebenden Ottomanen heimgesucht worden. Wenn man sich Asien aus einer anderen Richtung nähern könnte, wäre es möglich, die Türken und deren Verbündete, die alle großen Handelswege zwischen Bosporus und Khyber versperrten, zu umgehen.
Die Geografen der damaligen Zeit meinten, dass das einfach sei. Sie glaubten, dass man von Spanien aus auf dem Seeweg nur eine geringe Distanz Richtung Westen zurückzulegen habe, um nach Asien zu gelangen. Den Berechnungen der Kartografen zufolge lag Japan wenig mehr als dreitausend Meilen westlich von den Kanaren, und die Küste Chinas erstreckte sich ihrer Überzeugung nach dort, wo heute der US-Bundesstaat Oregon liegt. Wenn also das Meer, das an der spanischen Westküste begann, leicht zu überqueren wäre, die Schiffe der Christen problemlos bis nach China und Japan und vielleicht noch weiter bis nach Indien segeln und alle diese freundlich gesinnten und als Handelspartner geschätzten Länder von der anderen Seite her erreichen könnten, dann würden sich
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