Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
kolonialen Status zu bestätigen und zu sichern – ein Krieg, der, um den großen argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges zu zitieren, »einem Streit zweier Kahlköpfiger um einen Kamm« ähnelte –, war kurz, erbittert und ungewöhnlich blutig. Auf beiden Seiten verloren Hunderte ihr Leben. Die Inseln sind bis heute mit Gräbern, Landminen und Gedenksteinen übersät, und immer noch sind auf ihnen ganze Bataillone von britischen Soldaten stationiert, die sicherstellen sollen, dass keine Invasionstruppe jemals wieder ihr Glück versucht. Außerhalb des Südatlantiks stuft man den Konflikt jedoch als wenig mehr als ein ziemlich lächerliches Scharmützel ein: Er ist mehr oder minder aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, und außer solchen Menschen, die unmittelbar in ihn involviert waren, interessiert es heute kaum noch jemanden, über ihn zu reden.
Wenn es nicht anschließend noch zu einem bestimmten Ereignis gekommen wäre, hätte auch ich ihn wahrscheinlich mehr oder weniger vergessen. Doch viele Jahre nach dem Ende der Kämpfe schaffte derselbe argentinische Marineoffizier, der die erschütternde Nachricht vom Verlust der Sheffield an jenem schrecklichen Winternachmittag überbracht hatte, es irgendwie, mich in Hongkong, wo ich zu jener Zeit lebte, aufzuspüren. Er wolle sich mit mir treffen, teilte er mir brieflich mit, er habe mir etwas zu sagen. Nach einigen komplizierten Präliminarien gelang es uns tatsächlich, ein solches Treffen in die Wege zu leiten; entscheidend war wohl, dass ich noch einmal nach Patagonien in das mittlerweile viel größere und wohlhabendere Ushuaia zurückflog.
Von seinem äußeren Erscheinungsbild her hatte der Mann sich stark verändert. Vor allem trug er keine Uniform mehr, sondern war jetzt ein ganz normaler Zivilist, grauhaarig und gramgebeugt wirkend; das barsche Machogehabe, das 1982 so sehr Teil seiner Offizierspersönlichkeit gewesen war, hatte sich vollkommen verflüchtigt. Er erzählte mir, dass er schon vor vielen Jahren seinen Abschied von der Marine genommen habe und selber aus undurchsichtigen politischen Gründen im Gefängnis gelandet sei – ja sogar in derselben Zelle gesessen habe wie ich vor ihm. Anschließend sei er in Buenos Aires von Tür zu Tür gegangen und habe Seifenpulver verkauft, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. Schließlich habe er sich neu erfunden: Er habe es geschafft, ein Studium an der Universität zu absolvieren, einen Abschluss in Geschichte gemacht und unterrichte jetzt selbst an einem Institut der patagonischen Landesuniversität.
Er lud mich zum Essen ein – ich sollte unbedingt centollas probieren, die Riesenkrabben, für die die Gewässer um Kap Hoorn berühmt sind, sowie ein Soufflé aus Calafate- Beeren, die, wie Patagonier beteuern, die magische Eigenschaft besitzen, jeden, der sie einmal gekostet hat, in diesen bizarren und sturmumtobten Winkel der Welt zurückzulocken. Und nachdem er unsere Gläser aus einer zweiten Flasche Malbec vollgeschenkt hatte, sagte er, dass er mir unbedingt etwas erklären wolle.
Er räusperte sich und wirkte plötzlich ziemlich nervös. Einleitend, meinte er, wolle er mich daran erinnern, dass seiner Ansicht nach die Islas Malvinas – er konnte es nicht über sich bringen, den Falklands ihren englischen Namen zu geben – als zum argentinischen Staatsgebiet gehörend anerkannt werden müssten. Sonst würde der Zwist mit Großbritannien nie beigelegt werden. Andererseits hätte man damals, 1982, den Streit auf dem Verhandlungsweg beenden sollen. Der Krieg sei ein Fehler gewesen, es sei auch falsch gewesen, uns einzusperren und schlecht zu behandeln. Wir drei Briten waren als Reporter ausgeschickt worden, um über den Krieg zu berichten, und die gegen uns erhobenen Vorwürfe waren eindeutig aus der Luft gegriffen gewesen. Was ihm aber seit jener Zeit vor allem auf der Seele gelegen habe, sei die überschwengliche Begeisterung über die Versenkung der Sheffield gewesen, die er an jenem Abend bekundet habe. Das, sagte er, sei ganz schrecklich falsch von ihm gewesen.
Denn, so fuhr er fort, er habe damit gegen seine Prinzipien als Mariner verstoßen. Wenn auch die Briten zu jener Zeit seine Feinde gewesen seien, dürfe kein Seemann jemals eine solche Freude über den Untergang eines Schiffs empfinden, wie sie ihn in jener kalten Mainacht ergriffen habe. Niemand dürfe einen solch glühenden Wunsch verspüren, dass das Schiff irgendeiner Kriegsmarine, überhaupt irgendein
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