Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
daraus zweifellos viele kommerzielle und politische Vorteile ergeben. Nur ein paar Monate nach der Vertreibung der Mauren wurde Kolumbus offiziell damit beauftragt, von Spanien aus in Richtung Westen aufzubrechen und nach Japan und zu den indischen Gewürzinseln zu segeln. Im Spätherbst 1492 musste der Genuese jedoch feststellen, dass die Insel Hispaniola den Weg dorthin versperrte. »Meine Absicht bei dieser Fahrt war es«, erklärte Kolumbus später den spanischen Majestäten, »Kathay und den äußersten Osten Asiens zu erreichen, wobei ich nicht auf ein solches Hindernis wie das von mir neu entdeckte Land zu treffen erwartete.« So kam es zu seinen späteren Fahrten im karibischen Raum und schließlich auch zur Entdeckung des tatsächlichen, sich unvermutet vor den Schiffen der Asien Suchenden ausbreitenden amerikanischen Kontinents durch andere. Man erkannte bald, dass das Gewässer zwischen Amerika und Europa nicht bloß ein einfach zu überquerendes kleineres Meer, sondern ein riesiger, gewissermaßen brandneuer Ozean war: der Atlantik.
Dieser jetzt als solcher identifizierte und definierte Ozean sollte bald die Hauptverbindungsstraße werden, auf der spanische Kriegsschiffe zu den Rändern des neu entdeckten Kontinents fuhren, um dort Territorien für die Krone zu erobern; über ihn wurde Nachschub herangeschafft, als die Konquistadoren auch ins Innere des Kontinents vordrangen, und nur über ihn konnten auch das ganze Beutegut und die Schätze, die ohne Unterlass aus den Gewölben und Minen Neuspaniens herausquollen, in die Heimat transportiert werden.
All dies, die Anfänge dessen, was man die »neue amerikanische Unternehmung« nennen könnte, koinzidierte mit dem Anbruch des Zeitalters der Entdeckungen. Auf Entdeckungsfahrt zu gehen sollte sich von diesen Anfängen im 15. Jahrhundert an zu einem weltweiten Phänomen entwickeln und vierhundert Jahre lang eifrigst betrieben werden. Daran beteiligt waren europäische Forschungsreisende und Kaufleute, die auf der Suche nach Schätzen, Handelsmöglichkeiten und Wissen ausschwärmten. Und mit dem Aufkommen dieser beiden Trends erlebte die alte Welt des Mittelmeers, »dieses kleinen Binnenmeers, auf dem es jahrhundertelang zu so viel Raufereien und Kämpfen zwischen europäischen Völkern gekommen war«, wie es der Historiker Fernand Braudel formulierte, einen jähen und steilen Niedergang. Die Neue Welt und der riesige Ozean, der an ihre Ufer schlug, erfuhren hingegen einen dramatischen Aufstieg. Das war der wahre Beginn der Vorherrschaft des Atlantiks: Es war ein Wendepunkt in der Weltgeschichte – von den traditionellen Gefährtinnen des Handels, Plünderung und Krieg, begleitet.
Die ersten transatlantischen Kolonisierungsversuche wurden von den gefürchteten spanischen Konquistadoren unternommen; ihnen schlossen sich viele weitere an. Das Muster für das erbarmungslose und grausame Vorgehen der spanischen Eroberer wurde 1502 geschaffen, als ein frommer kastilischer Verwaltungsoffizier namens Nicolás de Ovando zum Gobernador y Comendador mayor der spanischen Besitzungen in der Neuen Welt, »sowohl auf den Inseln als auch auf dem Festland«, wie es in seiner Bestallungsurkunde hieß, ernannt wurde und mit zweitausendfünfhundert Kolonisten auf dreißig Schiffen angerückt kam, um Hispaniola zu besiedeln. Im Lauf der nächsten sieben Jahre unterdrückte er die Eingeborenen unter Ausübung massiver Gewalt, um nicht zu sagen Verübung schrecklicher Gräueltaten. Die einheimische Bevölkerung schrumpfte drastisch von einer halben Million auf schätzungsweise sechzigtausend Menschen. Er importierte große Scharen von Sklaven und setzte sie und so viele Arbeitswillige unter den überlebenden Einheimischen, wie er aufzutreiben vermochte, ein, um die Keimzellen für die ersten Städte zu schaffen. Er ließ von den Kanaren importiertes Zuckerrohr anpflanzen, erschloss in den Bergen Gold- und Silberminen, gab große Galeonen in Auftrag, die die Ernte und die Edelmetalle in die Heimat zurückbefördern sollten, und dann schickte er Abgesandte zu den anderen in der Nähe liegenden Westindischen Inseln, die die auf ihnen lebenden Menschen so schnell und nachhaltig wie möglich von den Vorzügen kastilischer Herrschaft überzeugen sollten.
Es gab eine Person, die Ovando nicht mit auf seine erste Reise nehmen konnte, einen Verwandten seiner Frau, einen aus der südwestspanischen Stadt Medellin stammenden Mann aus dem niederen Adel namens Hernán Cortés. Der Grund
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