Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
dafür war – angeblich –, dass der damals Achtzehnjährige sich am Abend vor der Abfahrt des Schiffs bei der Flucht aus der Schlafkammer einer verheirateten Dame verletzt hatte – das ist vielleicht eine apokryphe Geschichte, aber mit Sicherheit eine, die Cortés, der sich zum Archetyp des angeberischen, aufgeblasenen und zügellosen Konquistadors entwickeln würde, gerne über sich erzählen gehört hat. Cortés gelangte schließlich doch auf die Westindischen Inseln, aber wie so viele seines Schlages – wagemutige Abenteurer mit privatem Vermögen und guten Verbindungen zum spanischen Hof – benutzte er die Inseln nur als Sprungbrett zum amerikanischen Festland. Sobald er dort einmal angekommen war, begann er mit seiner berüchtigten Kampagne erbarmungsloser Unterwerfung und grausamer Unterdrückung, die in der Zerschlagung des Aztekenreichs endete und in der Ernennung eines spanischen Vizekönigs, der in der Kapitale von Neuspanien residierte: Mexiko.
Wie alle die finster dreinblickenden, vollbärtigen und wild entschlossenen Konquistadoren traf Cortés per Schiff ein, mit Tausenden von spanischen Soldaten, einem gewaltigen Arsenal von technisch fortschrittlichen europäischen Geschützen, aus hartem Stahl geschmiedeten Hieb- und Stichwaffen sowie, und das war entscheidend, mit Pferden und gut abgerichteten, mit eisernen Panzern geschützten Kampfhunden. Er setzte all dies gegen die verwirrten und verblüfften Azteken ein, ohne die geringsten Skrupel, wenn auch von vielen seiner Verteidiger und von den Verteidigern spanischer Kolonialpolitik im Allgemeinen behauptet wird, dass man das Ausmaß seiner Grausamkeiten stark übertrieben habe. In jedem Fall wurde Ende 1520, nachdem die Spanier von der Küste ins Landesinnere marschiert waren und dabei viele Siedlungen der Azteken belagert und zerstört hatten sowie taktisch geschickt viele Bündnisse mit anderen Eingeborenenvölkern eingegangen waren – offiziell sollte das dazu dienen, die Herrschaft Spaniens zu erweitern und den Heiden die Segnungen des Christentums zuteil werden zu lassen –, die Stadt Tenochtitlán von den Eroberern in Schutt und Asche gelegt. Anfang 1521 war die Zivilisation der Azteken, die in mancher Hinsicht so hoch entwickelt und fortschrittlich gewesen war wie jede europäische, ausgelöscht.
Die Tragödie der Azteken und ihres Herrschers Montezuma (der von Cortés als Geisel genommen wurde und bald danach eines mysteriösen Todes starb) sollte sich ganz ähnlich noch oft wiederholen – bei den Maya, den Inka, den verschiedenen nordamerikanischen Indianerstämmen –, bis das Reich des spanischen Vizekönigs auf dem amerikanischen Kontinent eine gewaltige Ausdehnung angenommen hatte und von Nordkalifornien bis nach Lima reichte, von Panama und dem Golf von Darién bis zur Stadt Santa Fe und der Halbinsel Florida. Große Abschnitte der atlantischen Westküste unterstanden gegen Ende des 16. Jahrhunderts der Herrschaft des kastilischen Königshauses. Das war vor allem der gut organisierten und systematischen Entsendung vieler schneller Segler nach Westen und den Scharen gut bewaffneter Krieger, die sie beförderten, zu verdanken.
Es dauerte nicht lange, bis auch die Portugiesen, die Franzosen, die Holländer und die Engländer ihre Schiffe auf die Reise über den Atlantik schickten, um in der Neuen Welt Kolonien zu gründen. Und auch wenn die Angehörigen dieser Völker im Allgemeinen dabei weniger Grausamkeit an den Tag legten, unterjochten sie doch die indigenen Völker, auf die sie stießen, und gründeten in deren angestammten Lebensräumen eigene Siedlungen. Die Geschichten von diesen Niederlassungen an den Küsten, von ihrer Gründung, dem Wiedervergehen einiger von ihnen und dem bemerkenswerten Überleben anderer, sind längst Teil der Legende von der Erschaffung des modernen Amerikas durch die Europäer geworden: Die Geschichten um Sir Walter Raleigh und Francis Drake, um John Smith und Pocahontas, um die Pilgerväter, die Puritaner und um Peter Stuyvesant sind allesamt wohlbekannt – und in beinahe allen spielt das Meer eine überragende Rolle, doch fast ausnahmslos als eine Barriere, die man zu überwinden hatte, als eine Quelle des Reichtums, die man gnadenlos ausbeuten durfte, und als Transportweg, auf dem man die Schätze der Neuen Welt – Tabak, Holz, Reis, Indigo, Pelze, Gold – in die Heimat bringen konnte.
Als das 16. ins 17. Jahrhundert überging und die Siedlungen in Amerika zu dauerhaften wurden, begannen als
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