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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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besonders hochwertiges Öl bekannt war und in einem Gebiet lebte, das man bald als »Southern Whale Fishery« bezeichnete.
    Der Pottwal ist durch Herman Melville in die amerikanische Literatur eingegangen. Melville schrieb 1851 in seinem Roman Moby Dick über den Titanenkampf zwischen dem rachsüchtigen Kapitän Ahab von der Pequod und dem wilden großen weißen Wal, der bei einer früheren Begegnung dessen Bein auf so grausame und erniedrigende Weise verstümmelt hatte. Als dieser Roman entstand, befand sich der kommerzielle Walfang auf einem Höhepunkt; Schiffe, die von New Bedford, Mystic, Sag Harbor und Nantucket aus in See gingen, erlegten bis zu vierhundert der gigantischen Geschöpfe jährlich. 45
    Doch dieses Tier war in Neuengland schon seit mindestens eineinhalb Jahrhunderten bekannt. Lokalhistoriker aus Nantucket behaupten gerne, dass Walfänger schon 1715 auf der Jagd nach Nordkapern auf eine Herde Pottwale gestoßen seien, was allgemeines Interesse für diese Spezies erweckt habe – wer wäre nicht beeindruckt von einem so bizarren und riesenhaften Geschöpf gewesen, dessen großer Kopf ein Drittel seiner Gesamtlänge ausmacht, das aus seinem Atemloch viele Meter hohe Fontänen ausstoßen kann und eine halbmondförmige Fluke besitzt, die einen ohrenbetäubenden Knall erzeugen, wenn es sie auf die Wasseroberfläche niedersausen lässt. Außerdem kann der Pottwal wie ein Blitz zwei Meilen tief in den Ozean tauchen und, ohne Luft schöpfen zu müssen, dort unten eine Stunde und länger verweilen. Dieses Tier war größer, schwerer und geräuschvoller (es stößt Klick- und Klacklaute aus, die meilenweit zu hören sind), vor allem aber auch wilder, als die meisten Seeleute es für möglich gehalten hatten. Später entdeckte man dann, dass so gut wie alles an ihm verwendbar war: Aus dem Speck ließ sich ein hervorragendes Öl für Beleuchtungszwecke gewinnen, sein Fleisch war sogar noch nahrhafter als normales dunkelrotes Walfleisch; im Kopf dieses Ungetüms gab es ein Paar Höhlungen, die mit mehreren Tonnen – Tonnen! – »Walrat« gefüllt waren, einer weißlich-gelben, wachsähnlichen, an Sperma erinnernden Substanz, aus der sich unter anderem die weißesten Kerzen herstellen ließen; um diese Masse zu extrahieren, bohrte man Löcher in den Schädel und ließ dann Männer in Fässern in ihn hinab, die die beiden Höhlungen ausschöpften. Ein männlicher Pottwal besaß einen ein Meter achtzig langen Penis, und wie Melville erzählt, hätte ein Mann von Geschmack oder Mut sich aus der Haut dieses Organs problemlos ein Regencape anfertigen lassen können: Die Öffnung für den Kopf wäre sogar schon da gewesen. Man entdeckte auch, tief in den Eingeweiden des Wals verborgen, große Klumpen der grauen, öligen, als Ambra bekannten Substanz, die man sonst schon auf dem Meer schwimmend gefunden hatte und von der man lange nicht gewusst hatte, woher sie stammte. Es kursierten ganz verschiedene Meinungen: Es handle sich um Meeresbitumen, es stamme von den Wurzeln eines Meeresgummibaums, es sei von Meeresdrachen ausgeschiedener Speichel, es sei ein Pilz, es sei von Menschen hergestellt, es handle sich um unter großem Druck zusammengepresste Fischlebern. Dass der Pottwal so viel Wertvolles und Köstliches enthielt, war für die Menschen Anlass, auf diese Spezies noch gnadenlosere Jagd zu machen als auf alle anderen Walarten.

    Die Besatzung eines der dories , der kleinen Ruderboote, von denen jedes Walfangschiff eine kleine Schar mit sich führte, schickt sich an, einen der großen Meeressäuger zu harpunieren. Ein bereits erlegter Wal ist längsseits des Mutterschiffs vertäut und wird zerlegt, »geflenst«. Aus dem Ofen, in dem der Walspeck ausgekocht wird, steigen zwei mächtige Rauchsäulen in die Luft.
    Und so schwärmten um die Mitte des 18. Jahrhunderts amerikanische Walfänger mit noch größeren Schiffen, strapazierfähigeren Segeln, größeren Tranfässern, stabileren Harpunen, reißfesteren Tauen und haltbareren Metallgeräten ausgerüstet von der Ostküste auf ye deep , wie sie die Tiefsee nannten, aus.
    Bis dahin waren sie immer nur ein paar Tage auf See gewesen, manchmal auch ein, zwei Wochen. Doch die unternehmungslustigeren Walfänger, die meisten von ihnen wackere Quäker, die nicht zum Erregtsein oder zu Angst neigten, begannen jetzt, die ganze weite Strecke bis nach Brasilien, zur Küste von Guinea oder sogar bis zu den Falklandinseln zu segeln und waren monatelang auf Fahrt. Sie erlebten

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