Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
man beim Foreign Office dazu verpflichtet, Kenntnis von dem Vorfall zu nehmen. Also musste der arme Craig nach Hause zurückkehren, und nach diesem Karriereknick kam er beruflich nie wieder richtig auf die Beine. Er wurde in obskure und damals unwichtige Orte wie Luanda oder Mogadischu und auf Ascension Island versetzt. »Und jetzt das hier«, sagte er und zog eine eng bedruckte Karte aus seiner Brieftasche.
Er reichte sie mir; ich sah das vertraute herrschaftliche Emblem des British Government Service, darunter Craigs Namen und dann seinen Titel – eine klassische Veranschaulichung des Axioms: je länger der Titel, desto unattraktiver der Job. Er war in der Tat stellvertretender Gouverneur der Falklandinseln und der ihnen angeschlossenen Gebiete, aber zusätzlich auch noch Assistant Commissioner and Director of the Fisheries of South Georgia and the South Sandwich Islands, also für die Fischerei in diesem Gebiet zuständig!
Am meisten überraschte mich aber seine Reaktion. »Ich bin der erste Direktor der Fischerei, der allererste«, erklärte er ziemlich stolz. »Und weißt du was? Du denkst wahrscheinlich, ich müsste verbittert und wütend über das sein, was mir passiert ist – doch in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Mit gefällt das alles wahnsinnig gut. Das ist das reinste Paradies hier unten.« Und dann erzählte er mir geradezu atemlos, dass man sich im diplomatischen Dienst heutzutage vor allem mit so langweiligen Dingen wie Handel und Kommerz befassen müsse und ständig an seinem Schreibtisch hocke, hier jedoch sei er dauernd in der sauberen, kalten, frischen Luft unterwegs; er könne über ein »Dienstboot« verfügen und einige der landschaftlich spektakulärsten Inseln, die es auf der ganzen Welt gebe, besuchen. Inzwischen kenne er die Orte, wo solche exotischen Geschöpfe wie Wanderalbatrosse und die verschiedensten Pinguinarten brüteten, und wisse, wo man Wale – Südkaper – beobachten könne. Er brauche sich nie in einen Anzug zu zwängen, er scheine nur mit Leuten in Berührung zu kommen, die faszinierend, leidenschaftlich von einer Sache besessen und abenteuerlustig seien, und es sei ihm vergönnt, bei der Gründung einer der am besten organisierten Fischereiwirtschaften der Welt mitzuwirken.
»Vor fünf Jahren noch hätte ich das eine Ende eines Fisches nicht vom anderen, ja eine Krabbe nicht von einer Kakerlake unterscheiden können. Ich lebte in Büros. Ich nahm an endlosen Meetings teil. Ich machte mir ständig Sorgen, was die Zentrale in London von mir denken könnte. Jetzt hat sich alles an meiner Arbeit geändert, jeder einzelne Aspekt. Ich bekomme immer noch ein ganz gutes Salär und bin immer noch britischer Diplomat. Die Sache in Burma hat mich zwar kurzfristig unglücklich gemacht, sich aber am Ende sehr zu meinen Gunsten ausgewirkt. Ihretwegen wurde ich hierher versetzt. Und die vergangenen zwei Jahre hier, mitten im Südatlantik, haben mich zu einem sehr glücklichen Mann gemacht.«
Das sah ich jetzt auch. Er strahlte Freude und Zufriedenheit aus. Er verfasste immer noch Texte auf Farsi und hatte die Werke der persischen Klassiker in seinem Arbeitszimmer stehen, er würde auch immer jenen Teil der Welt lieben. Doch jetzt hatte er etwas ganz anderes für sich entdeckt, das er genauso faszinierend fand. Hätte er auf seinen Inseln im Südatlantik bleiben können, hätte er ohne Zweifel ein glückliches und erfülltes Leben geführt. Doch leider kam es ganz anders: Nur wenige Wochen nach unserem unerwarteten Zusammentreffen auf den Falklands erkrankte er schwer und musste mit dem Flugzeug nach England zurückgebracht werden, wo er nicht lange danach starb. Wir beerdigten ihn an einem stürmischen Märztag in einem Dorf in Rutland.
Seine burmesische Freundin, die nach London gezogen war und mit der ich viele Jahre lang in Verbindung blieb, schrieb mir Ende der neunziger Jahre, um mir mitzuteilen, dass es Craig mit Genugtuung erfüllt hätte, wenn er erfahren hätte, was er und seine Nachfolger im Südatlantik zuwege gebracht hatten. Als sie noch in Rangun lebte, hatte sie, wie sie es humorvoll ausdrückte, nur wenig für Fisch übriggehabt – sie war nicht am Schicksal dieser Meeresbewohner interessiert gewesen, weil man in Burma andere Sorgen hatte. Doch im Lauf ihres allzu kurzen Zusammenlebens mit meinem Freund hatte auch sie alles, was mit dem Meer zusammenhing, zu fesseln begonnen, und jetzt kämpfte sie leidenschaftlich dafür, dass die Meere vor Schaden jeder
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