Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
1960er Jahren teilte ich mir für kurze Zeit eine Bude mit einem ungewöhnlich intelligenten jungen Mann namens Craig, der sein Studium der klassischen persischen Sprache mit einer Traumnote abschloss. Das Foreign Office rekrutierte ihn prompt für den diplomatischen Dienst, und er wurde, was angesichts seines Sprachtalents nicht überraschte, in Gesandtschaften Ihrer Majestät an verschiedenen Orten in Südwestasien eingesetzt. Wir blieben befreundet, und von Zeit zu Zeit erhielt ich von ihm Briefe und Postkarten, in denen er mir von seiner Tätigkeit in Orten wie Amman, Dschidda, Jerusalem und Teheran berichtete. Einmal meinte er, vorausgesetzt, dass er keine kapitalen Böcke schießen werde, würde er wohl eines Tages als britischer Botschafter im Iran enden und zum Abschluss seiner Laufbahn all die Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, die ein ranghoher Diplomat sich erwarten darf. Zum letzten Mal hörte ich von ihm Mitte der achtziger Jahre, als er der Abteilung des Foreign Office angehörte, die für Palästina zuständig war; seine Karriere schien absolut planmäßig voranzuschreiten.
    Doch zehn Jahre später, als ich mich an einem wolkenlosen Februarmorgen an Bord eines russischen Frachters der Zufahrt nach Port Stanley näherte, der Hauptstadt und dem Haupthafen der Falklandinseln, hörte ich, da ich mich zufällig gerade auf der Brücke befand, einen eingehenden Funkspruch mit an, mit dem man sich erkundigte, ob ich eventuell für ein Treffen verfügbar sei.
    »Der stellvertretende Gouverneur der Falklandinseln lässt seine Grüße übermitteln«, quäkte es aus dem Funkgerät – und würde Mr Simon Winchester ihm die Ehre erweisen, das Mittagessen mit ihm einzunehmen? Natürlich sagte ich zu, obwohl ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, um wen es sich bei dem Gouverneur oder seinem Stellvertreter handeln könnte. Wenige Augenblicke später tuckerte eine kleine, von zwei Soldaten bemannte Barkasse heran. Die beiden machten an der Gangway des Schiffs fest und salutierten, als ich an Bord kletterte. Dann fuhren sie geschwind mit mir in Richtung Land, so dass die Kolonialflagge hinter uns im Fahrtwind flatterte.
    Am Kai wartete niemand anderes als Craig auf mich. Er hatte jetzt einen dichten Vollbart und sah ein bisschen älter aus als beim letzten Mal, war aber ansonsten unverändert und begrüßte mich so herzlich wie immer. Wie schlenderten zum Upland Goose hinüber, dem kleinen Hotel, das während des Falklandkrieges zehn Jahre zuvor für kurze Zeit in die Schlagzeilen gekommen war, und nahmen dort an dem für den Gouverneur und seine Mitarbeiter reservierten Tisch Platz. Da es auf den Inseln von Schafen wimmelt, war es wohl unvermeidlich, dass es sich bei dem Mahl, das man uns vorsetzte, um Hammelbraten handelte. Anschließend bestellten wir Kaffee und Cognac, traten in den Garten hinaus und ließen uns im fahlen südatlantischen Sonnenschein nieder, um Erinnerungen auszutauschen. Schließlich setzte ich zu der Frage an, die mir natürlich auf der Zunge lag – doch Craig stoppte mich, indem er die Hand hob.
    Ihm war klar, dass ich die Frage stellen würde, meinte er. Er wusste, was mir durch den Kopf ging, nämlich: Was um alles in der Welt tut dieser Mann, dieser herausragende Kenner Persiens und des Farsi, dem eine glänzende diplomatische Karriere sicher schien, in einem Loch wie diesem? Wir fühlten uns beide mehr als ein bisschen verlegen. Doch Craig hatte sich innerlich auf eine Wiederbegegnung mit alten Freunden vorbereitet und war zu dem Schluss gekommen, dass er am besten sofort mit der Wahrheit herausrücken würde.
    Ich erfuhr, dass das Foreign Office ihn einige Jahre zuvor an die Botschaft in Rangun versetzt hatte, wo er als Kanzleivorsitzender Dienst tat, eine hohe Stellung, von der er nahezu unvermeidlich in einen diplomatischen Spitzenrang aufsteigen würde – jedenfalls sah es zunächst so aus. Alles nahm den erwarteten Gang, bis Craig, der inzwischen Ende vierzig und noch immer Junggeselle war, sich mit einer ungefähr gleichaltrigen und ebenfalls unverheirateten Burmesin einließ. Unter normalen Umständen hätte das kaum eine Rolle gespielt – doch leider war es so, dass der damalige Botschafter Großbritanniens in Burma eine tief verwurzelte Abneigung dagegen hatte, dass einer seiner Mitarbeiter eine Beziehung zu einer, wie er sich ausdrückte, »Eingeborenen« aufnahm.
    Er kam in London formell um die Versetzung Craigs nach, und da das Schreiben von einem Legationschef kam, war

Weitere Kostenlose Bücher