Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
wusste.
Womit sie nicht gerechnet hatten, war, dass der Laserstrahl das Vorhandensein von Millionen und Abermillionen noch winzigerer Organismen enthüllen würde, mikroskopisch kleiner ovaler Lebewesen mit einem Durchmesser von zirka sechs Mikron, was ungefähr dem Zweihundertstel des Durchmessers eines menschlichen Haares entspricht. Doch diese Geschöpfe waren nicht nur unvorstellbar winzig, sondern eine Untersuchung unter dem Elektronenmikroskop ergab, dass sie in ihren Organismus auch einen Typ von Chlorophyll inkorporiert hatten, der es ihnen gestattete, Kohlendioxid aufzunehmen und eine geringe Menge Sauerstoff aus dem Meerwasser zu extrahieren, das dann in die Atmosphäre entwich.
Sehr wahrscheinlich das Lebewesen, das auf unserem Planeten in größerer Zahl vorkommt als jedes andere: Prochlorococcus wurde 1986 in der Sargassosee entdeckt. Mit ihrem Chlorophyll b erzeugen diese winzigen Geschöpfe bis zu einem Fünftel des in unserer Atmosphäre vorhandenen Sauerstoffs.
Fotografie von William K. Li und Frédéric Partensky, Bedford Institute of Oceaonography
Die Menge von freigesetztem Sauerstoff, die ein einzelnes dieser Geschöpfe produziert, ist für sich genommen unbedeutend, im wahrsten Sinn des Wortes eine quantité négligeable , doch Penny Chisholm rechnete aus, dass diese Cyanobakterien in ungeheuer großer Zahl existieren; ein einziger Kubikzentimeter Meerwasser kann an die hunderttausend von ihnen enthalten, so dass sie vermutlich die am häufigsten vorkommenden und verbreitetsten Geschöpfe auf der ganzen Welt sind. In ihrer Gesamtheit produzieren sie demzufolge gewaltige Mengen Sauerstoff.
Ihr bevorzugter Lebensraum sind die warmen Meeresregionen, vor allem das Gebiet zwischen dem 40. nördlichen und dem 40. südlichen Breitengrad, oder die Region, die im Norden von einer Linie, die New York mit Lissabon verbindet, und im Süden von einer zweiten Linie, die von Buenos Aires nach Kapstadt führt, begrenzt ist. Dort schweben sie still herum; ganz unten in der Nahrungskette angesiedelt, warten sie darauf, von winzigen Krabben geschluckt zu werden, welche dann von kleinen Fischen verspeist werden, die wiederum von größeren verschlungen werden, und so weiter und so fort, bis schließlich das gierigste und unersättlichste aller Raubtiere mit dem Verschlingen an der Reihe ist: der Mensch. Vielleicht sollte man besser sagen, vermutlich stehen diese Bakterien ganz unten in der Nahrungskette, wenn es auch schwerfällt, sich vorzustellen, dass noch kleinere Geschöpfe im Meer leben. Dr. Chisholm meinte, die Existenz von Prochlorococcus liefere ein Beispiel für die unerschöpfliche Fähigkeit der Natur, die Welt der Wissenschaft in ihre Schranken zu weisen, sie zu demütigen , wie die Wissenschaftlerin es ausdrückte – und sie könne das durchaus wieder tun. Vor 1986 hatten wir keine Ahnung von der Existenz eines solchen Lebewesens, jetzt geht man davon aus, dass es vielleicht häufiger auf der Erde – oder vielmehr im Meer – vorkommt als jedes andere, und es trägt ganz entscheidend dazu bei, dass Landlebewesen auf unserem Planeten existieren können.
Um die Bedeutung dieses Wesens plastisch hervorzuheben: Man kann zu Recht behaupten, dass jeder Mensch mit jedem fünften Atemzug, den er macht, im Meer, und zwar insbesondere von Prochlorococcus erzeugten Sauerstoff aufnimmt. Wir wissen jetzt von seinem Vorhandensein und seiner Funktion, und es ist evident, dass, sollte ihm jemals etwas Schlimmes zustoßen, das Überleben von allen Wesen, die Sauerstoff benötigen, gefährdet wäre. In den zwei Jahrzehnten seit seiner Entdeckung hat man viele Forschungen angestellt, um festzustellen, was ihm Schaden zufügen könnte. Die Forscher haben vor allem zu ermitteln versucht, ob die Erwärmung der Meere seine Fähigkeit, Kohlendioxid zu absorbieren, und seine Neigung, Sauerstoff zu produzieren, einschränken könnte.
Bis jetzt hat Prochlorococcus sich widerstandsfähig gegenüber der globalen Erwärmung gezeigt, ja, es liebt warmes Meerwasser und gedeiht besonders gut in ihm. Eine Zunahme der Meerestemperaturen könnte durchaus dazu führen, dass sich sein Verbreitungsraum erweitert und es auch in Regionen jenseits der 40. Breitengrade heimisch wird, in denen es ihm zuvor zu kalt war. Das wiederum könnte sich nicht nur auf den Zustrom von Sauerstoff in die Atmosphäre, sondern auch auf die Absorption von bereits in ihr vorhandenem Kohlendioxid auswirken.
Es ist verlockend – gleichzeitig aber
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