Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
den Ozean zieht, und die Geschwindigkeit, die er dabei entwickelt, die Art, in der er wächst, bis er seine größte Stärke erreicht, sein Abflauen und schließliches Vergehen sind alle Ergebnis einer winzigen und höchst subtilen Fluktuation der Beschaffenheit des Meeres sowie der Winde, die ihn nähren, lenken und aufrechterhalten.
Hurrikans – das Wort ist karibischen Ursprungs, und die Stürme, die es bezeichnet, 59 sind ein spezifisches atlantisches Phänomen – entstehen während des Sommers auf der nördlichen Halbkugel, und zwar für gewöhnlich in der Zeit zwischen Juni und November. Damit sie sich bilden, muss relativ kühle Luft über sehr warmes, subtropisches Meerwasser hinwegstreichen, so dass die feuchte Luft, die von dessen Oberfläche aufsteigt, sich ziemlich rasch abkühlt. Viele Hurrikans entstehen in den seichten Gewässern der östlichen Karibik, einige oft sehr heftige Stürme dieser Art brauen sich aber auch in den flachen Gewässern des Ostatlantiks, in dem Gebiet um die Kapverdischen Inseln herum, zusammen. Die Bedingungen, die in diesen sogenannten zyklogenetischen Regionen herrschen, sind im Wesentlichen identisch: unten eine Menge warmen Wassers, darüber Luft, die sehr frisch ist, aufsteigender feuchter Dunst, der sich ungewöhnlich schnell abkühlt.
Diese rasche Abnahme der Temperatur – die zur Bildung von Wolken, aus denen Regen fällt, sowie zur Abgabe von latenter Wärme führt – kann unter bestimmten (immer noch nicht völlig erforschten) Umständen gewaltige Unruhe in vertikalen Luftsäulen verursachen. Es sind unsichtbare Phänomene, die aber ein Gleitschirmpilot oder ein Wetterballon als starke Wirbel und thermische Aufwinde registrieren würde.
Die Druckgradienten – die Stärke der Druckänderung auf einer bestimmten Strecke – in den zyklogenetischen Breiten, in denen diese Säulen von unruhiger Luft entstehen, bringen Winde hervor, die in der Regel vom Nordosten her wehen. Diese Winde schaffen es, die Säulen instabiler Luft in Bewegung zu versetzen, und bei seltenen Gelegenheiten beginnen diese Luftsäulen durch Einwirkung der Corioliskraft – das heißt unter dem Einfluss der Erdumdrehung – zu rotieren, und zwar auf der nördlichen Halbkugel immer entgegen dem Uhrzeigersinn. Die vorherrschenden Nordostwinde treiben dann diese fragile und zunächst nur sanft rotierende Säule vor sich her über das Meer – und vorausgesetzt, dass das Wasser unten warm und somit die in der Säule hochsteigende Luft feucht ist, sowie vorausgesetzt, dass es in der oberen Schicht der Atmosphäre kalt genug ist, damit diese Luft kondensiert und sich somit Wolken bilden und Regen fällt, wird weitere Luft in die rotierenden Säulen – man spricht auch von »Rüsseln« – gesaugt und diese werden immer stärker mit thermischer Energie aufgeladen, welche durch Umwandlung in kinetische Energie die durch die Rotation erzeugten Luftwirbel immer schneller und schneller rotieren lässt. Hin und wieder, ungefähr fünfzehnmal im Jahr, entwickelt diese wirbelnde Masse von Luft und Wolken sich zu einem ausgewachsenen Sturm. Wenn dieser eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht, wird er als Hurrikan eingestuft; dieser wiederum kann sich durch fünf offizielle Stärke- und Gefahrenkategorien hindurch nach oben schrauben, bis er zu einem Phänomen von beängstigendem Ausmaß und furchterregender Gewalt wird.
Für das Entstehen eines Hurrikans ist letztlich die Wärme des Wassers ausschlaggebend, über das die Säule rotierender Luft zieht. Einer der Gründe dafür, dass »Katrina« so zerstörerisch wurde, ist darin zu sehen, dass dieser Sturm, als er sich vom Ort seiner Geburt über die Bahamas hinweg nach Westen bewegte, über eine der Strömungen hinwegzog, die den Golfstrom speisen, den schmalen, bis in relativ große Tiefe hinunterreichenden Loop Current im Golf von Mexiko nämlich. Im August 2005 war diese »Schleifenströmung« wärmer als üblich. Die Abweichung von der Normaltemperatur mag minimal gewesen sein, doch in Bezug auf etwas so sensibel auf äußere Bedingungen Reagierendes wie einen im Entstehen begriffenen Hurrikan war der Unterschied enorm. Der zusätzliche Antrieb, den dieses geringfügig wärmere Wasser ihm verlieh, ließ den bis dahin relativ bescheidenen Tropensturm »Katrina« im Nu die Kategorie 5 erreichen, und diese Entwicklung war es, die den National Weather Service dazu veranlasste, an jenem Sonntag, dem 28. August, seine berühmt gewordene Warnung auszugeben.
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