Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
ihn und seine Familie bereithielten. Das, was er in ihnen fand, war überdies nicht nur wohlschmeckend und nahrhaft, sondern er konnte es auch erjagen, ohne hinter ihm herhetzen zu müssen, erbeuten, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen, und in ungegartem Zustand verzehren. Und mehr noch: Die kleine Welt aus Sand und Wasser, die vor ihm lag, wurde auf irgendeine mysteriöse Weise, ja wie durch Zauber, zweimal täglich wieder mit Nahrung aufgefüllt.
Der Mensch war von diesem neu entdeckten Lebensraum zwischen Land und Meer fasziniert, und es war unvermeidlich, dass er sich hier niederließ. Er war bei Pinnacle Point angelangt.
3. An der Küste entlang
W estern Cape, wie der offizielle Name der südlichsten Spitze Südafrikas lautet, ist der Ort, wo die Wasser des Indischen Ozeans sich mit denen des kühlen Südatlantiks vermengen. Es ist eine erschreckend gefährliche Küste, an der sich Schiffswracks geradezu türmen: Öltanker, die zu groß für den Suezkanal sind, umrunden auf ihrem Weg zu den Bohrfeldern oder von diesen zurück Kap Agulhas und fahren dann dicht an der Küste entlang weiter, und sie scheinen mit einer deprimierenden Häufigkeit zu kollidieren, was gewöhnlich im Auslaufen einer großen Menge ihrer unappetitlichen Fracht und dem Tod großer Scharen afrikanischer Pinguine resultiert.
Ich bin selbst in diesen Gewässern gesegelt und weiß, dass sie schwierig zu befahren sind. Fast alle Schiffe halten sich gerne in Küstennähe, um den gewaltigen Wogen weiter draußen, wo das Wasser tiefer ist, auszuweichen. Außerdem gibt es nur wenige Häfen, in denen man beim Heraufziehen von schlechtem Wetter Zuflucht suchen kann. Das Zusammentreffen von stark befahrenen Schifffahrtsrouten (auf denen sich auch Unmengen von kleinen, lokalen Fischerbooten herumtreiben) mit hohen und eisigen Wellen sowie einer abweisenden und schroffen Küste ohne nennenswerte Häfen ist etwas, das nur wenige Seeleute – und gewiss kaum ein unerfahrener und ungeschickter Hobbysegler, wie ich es früher zumindest war – persönlich erleben möchten.
Ich besitze immer noch meinen alten South African Pilot , das Segelhandbuch mit blauem Einband, das ich damals auf der Yacht benutzte. Die recht schöne Vlees Bay, die sich zwischen zwei felsigen Landspitzen – Vlees Point im Süden und neun Meilen nördlich von ihm Pinnacle Point – auftut, findet in ihm als Orientierungspunkt Erwähnung. Als sie den Pilot verfassten, hielten die Autoren fest, dass es in der Nähe von Pinnacle Point »eine Gruppe weißer Ferienbungalows« gebe, und zwar wiesen sie nicht auf sie hin, weil der Anblick so ästhetisch war, sondern weil die Häuser von in Küstennähe vorbeifahrenden Schiffen aus gut sichtbar gewesen sein müssen.
Diese Ansammlung von Zweithäusern hat sich in den dreißig Jahren seit Erscheinen des Segelhandbuchs zu einem imposanten Feriendorf entwickelt – dem Pinnacle Point Beach and Golf Resort –, dessen ganzer Zweck darin besteht, den Bewohnern oder Gästen die Möglichkeit zu bieten, kostspieligen Vergnügungen am oder auf dem Meer nachzugehen. Die Betreiber der Anlage behaupten gerne, dass die Seeluft, das mediterrane Klima, das weiß schäumende Wasser und die sogenannte fynbos , die lokale Flora, die diesen Flecken an der zerklüfteten Küste besonders attraktiv macht, diesen Ort zu einem »neuen Garten Eden« werden lassen.
Sie ahnen wohl kaum, wie zutreffend ihr Werbespruch ist. Pinnacle Point mag im Begriff sein, in Kreisen professioneller Golfspieler und pensionierter Geschäftsleute Berühmtheit zu erlangen, den Archäologen, die sich mit der Geschichte des Frühmenschen befassen, ist dieser Ort aber schon viel länger bekannt; denn dies scheint die Stelle gewesen zu sein, an welcher der Mensch zum allerersten Mal am Rand des Meeres siedelte. Es gibt dort nämlich eine in der Fachwelt als PP13B bekannte Höhle, heute an die achtzehn Meter über dem Niveau des Meeres gelegen, in der man Belege dafür gefunden hat, dass die Menschen, die einst in ihr hausten, Dinge taten wie Schalentiere essen, Klingen schärfen und sich selbst oder ihre Umgebung mit ockerfarbenen Strichen schmücken – und das alles vor fast genau 164000 Jahren.
Curtis Marean, ein amerikanischer Forscher des Fachbereichs Evolution and Social Change an der Arizona State University, war im Jahr 1999 einer der Ersten, der die Bedeutung dieser Höhle erkannten. Er hatte aufgrund dessen, was er über das während der letzten Eiszeit in Afrika
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