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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zu setzen und so weite Strecken zurückzulegen, bleibt rätselhaft; vielleicht war es Neugier oder Hunger oder aber ein Bedürfnis nach Lebensraum. Tatsache ist aber, dass der Frühmensch, bloß dreißigtausend Jahre nachdem er fossilen Fundstücken zufolge auf der Suche nach Nahrung über die Savannen und Grassteppen Äthiopiens und Kenias geschweift war – auf der Jagd nach Elefanten und Flusspferden, Gazellen und Hyänen und auf diesen Streifzügen zu seinem Schutz Unterstände bauend und vom Blitzschlag entfachte Feuer hütend –, begann nach Süden zu ziehen. Es war eine schwerfällig und etappenweise vorangehende Migration über große Teile des afrikanischen Kontinents hinweg bis zu dessen Rand, bis hin zur Südküste, wo es eine Reihe topografischer Phänomene gab, von deren Existenz er natürlich keine Ahnung gehabt hatte.
    Das Klima wurde im Verlauf dieser Zeit zunehmend kühler: Die Welt trat in eine längere Kälteperiode ein, und sogar in dem zu einem großen Teil in der Äquatorialzone gelegenen Afrika war das Klima für kurze Zeit (bevor es wirklich eisig auf der Erde wurde) relativ ausgeglichen. Das Land war größtenteils mit Savannen bedeckt und noch weniger mit wild wucherndem Dschungel. Am Großen Afrikanischen Grabenbruch entlang nach Süden zu ziehen war daher vielleicht eine der am wenigsten komplizierten Wander- und Erkundungszüge des Frühmenschen, zumal ihm auch die Gebirgsketten zu beiden Seiten eine Art Schutz boten. Das wellige mit Gras bewachsene Land war leichter zu passieren, als die einstigen Urwälder es gewesen wären, und auch die Flüsse waren nicht mehr so reißend und ließen sich problemloser überqueren. Und so erreichte der Mensch nach langen Jahrhunderten beharrlichen Weiterziehens in Richtung Süden die Klippen am äußersten Rand des Erdteils – und damit entdeckte er das Meer.
    Er war wohl verblüfft darüber, einen Ort erreicht zu haben, der ihm ohne Zweifel wie das Ende seiner ihm bekannten Welt vorgekommen sein muss, verblüfft über den unerwarteten Anblick einer gähnenden Kluft zwischen dem, was er kannte, und dem, von dem er überhaupt nichts wusste. Gleichzeitig sah er von seinem sicheren Standort auf einer hohen, grasbedeckten Klippe aus weit unter sich eine anscheinend grenzenlose Fläche von wogendem Wasser, das donnerte und dröhnte und in einem nicht enden wollenden Angriff gegen die Felsen peitschte, die den Rand seines Lebensraums markierten. Höchstwahrscheinlich war er tief erschüttert, verschreckt durch den Anblick von etwas so Großem, das so ganz anders war als alles, was er jemals zuvor kennengelernt hatte.
    Er drehte sich aber keineswegs um und flüchtete, spitze Angstschreie ausstoßend, in die sichere Savanne zurück. Alle in jüngster Zeit entdeckten Beweise deuten darauf hin, dass er und seine ganze Sippschaft blieben, wo sie waren, und sich an der Küste einen Unterschlupf suchten. Zuerst wählten sie dafür eine große Höhle, die vor den Wellen geschützt war, weil sie ein gutes Stück über dem Niveau lag, das das Wasser bei Flut erreichte. Später stieg der Mensch – ob zaudernd und besorgt oder forsch, werden wir nie wissen – von der Höhe hinab und wagte sich auf den Strand vor. Darauf achtend, den donnernden Brechern nicht zu nahe zu kommen, kniete er sich zunächst einmal nieder, um – wie ein Kind es heute tun könnte – die magischen Geheimnisse der Gezeitentümpel zu erforschen.
    Die Felsenklippen hinter und das wild tosende Wasser vor sich, wurde er für kurze Zeit von der ihm ganz neuen Welt dieser Tümpel gefangen genommen. Er starrte in ihre Tiefen; sie waren bis zum Grund kristallklar, doch grüne Wedel wiegten sich träge in ihnen, und sie waren von einem verstohlenen, pfeilschnellen Gehusche erfüllt. Er tauchte seine Finger in das Wasser, zog sie zurück und kostete – es schmeckte anders als jedes Wasser, das zuvor seine Lippen benetzt hatte; es war nicht sauer und brackig wie das aus den vielen Brunnen in der Wüste, aber auch nicht frisch und süß: Vermutlich konnte man es nicht trinken.
    Und dennoch erhielt dieses Wasser etwas am Leben. Als er genauer hinschaute, sah der Mensch, dass es in dem Tümpel von unzähligen Geschöpfen wimmelte: von Krabben, kleinen Fischen, Muscheln, Seeanemonen und Tang. Und mithilfe der einfachen Methode des Probierens, die er bei der Suche nach Nahrung auf dem Land schon seit Jahrtausenden angewandt hatte, entdeckte er nach und nach, dass diese Tümpel eine Fülle an Essbarem für

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