Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
irgendjemand sie tatsächlich absolviert hatte, und auch nicht, dass irische Mönche jemals etwas Derartiges getan und eines der drei Länder besucht hatten, von denen in diesem Zusammenhang die Rede war. Auch sind weder eindeutige Beweise anderer Art dafür vorgelegt worden, dass Seefahrer aus Irland den amerikanischen Kontinent erreichten und sich dort vielleicht sogar niederließen, noch dafür, dass ihnen jemals eine Überquerung des Atlantiks gelang. In Nordamerika sind keinerlei irische Artefakte aus früher Zeit gefunden worden.
Daher waren die Iren mit größter Wahrscheinlichkeit nicht die Vorgänger von Christoph Kolumbus. Andererseits: Wenn auch viele Italiener bis heute darauf beharren, dass Kolumbus überhaupt keine Vorgänger hatte und das Jahr 1492 den historischen Wendepunkt in Bezug auf transozeanische Kontakte zwischen Europa und Amerika darstellte, ließ ein Mitte des 20. Jahrhunderts gemachter Fund dies mehr als fragwürdig erscheinen. Eine archäologische Entdeckung in Nordneufundland im Jahr 1961 bewies, dass die erste Überquerung des Ozeans vierhundert Jahre nach der potenziellen Fahrt der Iren zur Verbreitung des Evangeliums, aber auch ganze vierhundert Jahre vor der aus kommerziellen Gründen unternommenen Expedition des Kolumbus stattgefunden hat. Es war aber weder ein Ire noch ein Genuese, der sich dieser Tat rühmen konnte.
Der erste Europäer, der mit einem Boot den Ozean bezwang und in der Neuen Welt an Land ging, war ein Mann aus dem Norden, ein Wikinger, der vermutlich einer Familie entstammte, die an der von Fjorden durchzogenen Küste südlich der heutigen norwegischen Städte Bergen und Stavanger ansässig war.
7. Ankünfte
V ier Jahre bevor die Archäologen die Entdeckung, die sie im Norden Neufundlands gemacht hatten, bekanntgaben, hatten schon einige Antiquare das Interesse der Öffentlichkeit geweckt, indem sie es als durchaus möglich erscheinen ließen, dass Kolumbus, was die Fahrt nach Amerika betraf, metaphorisch gesehen um viele Längen geschlagen worden war.
1957 trat Laurence Witten, ein junger Antiquar aus New Haven, Connecticut, mit einem außergewöhnlichen Angebot an die Yale University heran: Er hatte von einem Kollegen in Italien ein Blatt gekauft, bei dem es sich um eine im 15. Jahrhundert gezeichnete Karte der gesamten damals bekannten Welt zu handeln schien. Auf ihrer linken Seite war aber etwas abgebildet, was auf keiner anderen Karte der Zeit zu sehen war: eine große Insel im Westen Grönlands. Diese Insel wurde auf der Karte als Vinlandia bezeichnet, und die auf Latein verfasste Erklärung zu ihr besagte, dass sie im 11. Jahrhundert zuerst von »den Gefährten Bjarni und Leif Eriksson« und später von einem Abgesandten des Heiligen Stuhls besucht worden sei.
Acht Jahre verstrichen, bevor das Auffinden dieser Karte öffentlich bekanntgegeben wurde – vor allem deswegen, weil Paul Mellon, der millionenschwere Bankier, der sie schließlich von Witten erworben hatte, um sie seiner alten Alma Mater zu stiften, sie der Bibliothek von Yale erst dann offiziell übergeben wollte, wenn ihre Echtheit bestätigt worden war. Acht Jahre später, in denen man sie in jeder erdenkbaren Hinsicht überprüft hatte, erklärte ein Expertenteam des British Museum in London sie endlich für authentisch. Mellon gestattete es daraufhin Yale, die Meldung von ihrer Existenz zu verbreiten. Sie löste eine Sensation aus – so als hätte man einen Balken vom Kreuz Christi gefunden, als wäre etwas Neues über das Turiner Grabtuch offenbart oder das Steuerruder von Noahs Arche entdeckt worden. Wie der für Landkarten zuständige Kurator der Universität sagte, war es »die aufregendste Entdeckung des Jahrhunderts auf dem Gebiet der Kartografie«, während der Direktor der Beinecke Library von »der aufregendsten Erwerbung eines Einzelstücks in der modernen Zeit« sprach und von einem Dokument, das »an Bedeutung sogar die Gutenbergbibel« übertreffe.
Was die Welt in Erregung versetzte – oder zumindest die Mehrzahl der Amerikaner (die meisten Italoamerikaner muss man wohl ausklammern) und alle Norweger –, war die Tatsache, dass die Karte definitiv zu bestätigen schien, dass jenes »Vinland«, welches in zwei der bekanntesten isländischen Sagen des 13. Jahrhunderts erwähnt wird, irgendwo in Nordamerika lag. Die Karte schien ein für alle Mal zu beweisen, dass Leif Eriksson – der peripatetische auf Island geborene Sohn von Erik dem Roten – in der Tat an irgendeiner
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