Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
erhabenen Schauer über den Rücken gejagt zu haben. Die Briten, die Spanier und die Portugiesen brachten eine Fülle von Bildern dieser Art hervor; doch waren es die Holländer, die von der Mitte des 16. Jahrhunderts an für kurze Zeit fast so etwas wie ein Monopol auf die künstlerische Darstellung des Ozeans innehatten.
Wenn man von einer Region sagen kann, sie habe die atlantische Kunst erfunden, dann sind dies die Niederlande, und was die Thematik betrifft, so scheint eine Art heiliger Trinität von Schiffsporträts, Hafenansichten und sturmgepeitschten Klippen die Malerei dominiert zu haben. Jedenfalls trifft das auf das Werk von Männern wie dem flämischen Maler und Kupferstecher Pieter Brueghel dem Älteren sowie auf das von Willem van de Velde Vater und Sohn zu, die beide nach England auswanderten, wo sie ihr Handwerk durch die Ausführung einer Reihe von das Meer und Kriegsschiffe zeigenden Panoramen im Auftrag des englischen Königs perfektionierten. Schließlich galt das auch für das Werk des Künstlers, der die Marinemalerei im Grunde erfand und berühmt für seine mitreißenden Schlachtenszenen war, bei denen er sich auch dem kleinsten schauerlichen Detail mit größter Sorgfalt widmete, den aus Haarlem gebürtigen genialen Hendrik Cornelisz Vroom.
Sogar heute noch, nahezu fünf Jahrhunderte später, vermögen diese Bilder den Betrachter zu fesseln: Immer sieht man auf ihnen die gierige, verschlingende See; ihre Wogen sind von einem durchscheinenden Grün, die Täler zwischen ihnen tief und gefährlich, und das alles steht in einem scharfen Kontrast zu den Annehmlichkeiten des fernen Landes mit seinen grünen Wiesen, auf denen Kühe grasen, und den die Existenz eines Dorfes anzeigenden Kirchtürmen. Auf dem Wasser im Vordergrund wimmelt es von geschäftig umherhuschenden Leichtern und die Oberfläche aufwühlenden Fährbooten – und dann, vorne in der Mitte, leuchten in einem einzelnen Strahl fahlen Sonnenlichts die Segel eines gewaltigen holländischen Kauffahrers auf, der sich, vom Wind gepackt, auf die Seite neigt und auf irgendein fernes Ziel zuhält. Das Wasser fängt unter seinem mächtigen Bug aus Eichenholz zu schäumen an, sobald die Brise in das Segeltuch fährt, und es beginnt aus dem Bild zu stürmen und wird bald den Blicken des Betrachters entzogen sein.
Hinsichtlich der Behandlung der See durch die verschiedenen europäischen Malschulen gibt es subtile Unterschiede. Die Holländer bevorzugten eine geradezu zeichnerische Akkuratesse bei der Wiedergabe der ganzen Komplexität großer Segelschiffe; die große zur Verfügung stehende Malfläche – wenn es sich um eine Auftragsarbeit handelte, die der Kunde sich einiges kosten ließ – wurde mit Tausenden von Details vollgestopft; die Szenerie, Flussmündungen oder das Wasser unterhalb von beeindruckenden hoch aufragenden Landspitzen, war strengstens komponiert und in allen Einzelheiten aufeinander abgestimmt. Die Briten mochten es weniger formell; ihnen gefiel es vor allem, ihre Häfen zu malen oder gemalt zu sehen, außerdem die majestätischeren Einheiten der Royal Navy und die Momente ihres Triumphs im Durcheinander einer großen Seeschlacht. Die Franzosen dagegen wussten nicht allzu viel mit dem Atlantik anzufangen, und man kennt nur wenige Bilder, die ihn zum Sujet haben, außer den Werken von Claude Lorrain (der aber in Italien wirkte) und Claude Vernet, welcher im Auftrag Ludwigs XV. dreizehn großartige Ansichten von Häfen an der französischen Atlantikküste von Boulogne bis Biarritz (sowie dem am Mittelmeer gelegenen Marseille) schuf.
Canalettos maritimes Interesse erschöpfte sich, wie bekannt, in der Darstellung der Kanäle Venedigs. Die Russen (die nicht wirklich dem Atlantik ausgesetzt waren, außer an Orten wie den ihm nahe gelegenen Häfen Murmansk und Archangelsk am Weißen Meer) taten ihr Bestes, Interesse an den Tag zu legen. Katharina die Große konnte einen in Neapel stationierten deutschen Künstler dazu bewegen, Seestücke der Art zu malen, wie sie sie mochte. Als er um Vorschläge für die Ausführung von Schlachtenszenen bat, schickte sie eine Schwadron ihrer Kriegsschiffe nach Livorno und ließ eines von ihnen in die Luft jagen, damit er sich eine ungefähre Vorstellung davon machen konnte, wie ein explodierendes Schiff aussah.
5. Eingang in die Lyrik
D ie Dichter brauchten einige Zeit, um mit den Malern gleichzuziehen.
Die europäischen Maler des 16. und 17. Jahrhunderts mögen sich rasch mit dem Ozean
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