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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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das »Bild« von ihr. In dem Maß, in dem die Welt der Meere immer besser bekannt wurde, man sie weniger als zuvor zu fürchten begann und ihre Gewässer, Klippen und Tiere nach und nach immer zugänglicher für eine ruhige Würdigung durch die Künstler wurden, fing die fantasievolle Ausmalung des Unbekannten an, einer konventionelleren, wirklichkeitsgetreueren Darstellung der großen Ozeane zu weichen.
    Anfangs ist das Meer nur Kulisse – es begegnet zum Beispiel in einigen Werken Dürers als eine bloße glatte Wasserfläche, Teil der übrigen Szenerie, manchmal fast in dieser untergehend. Natürlich steht auf einem der bekanntesten Kupferstiche Dürers, Das Meerwunder , den er 1498 schuf, eine gigantische einem Triton ähnliche Gestalt im Vordergrund, mit Schuppen und Geweih, die eine nackte Frau in den Armen hält, deren Freunde hysterisch gestikulierend und mit aufgerissenen Mündern im Hintergrund zu sehen sind. Man könnte von einem Rückfall in eine frühere Sicht des Ozeans sprechen – abgesehen davon, dass das Wasser auf diesem Bild ganz ruhig ist; die leichte Kräuselung lässt auf einen Wind von nicht mehr als Stärke eins auf der Beaufortskala schließen. Und auf Dürers ein paar Jahre später geschaffenem Die Beweinung Christi ist das Gewässer ganz unbewegt und glatt wie ein Spiegel, eine Erinnerung daran, dass der Mensch dem Wandel, also auch der Sterblichkeit unterworfen ist, das Meer hingegen bestehen bleibt, um Derek Walcotts poetische Vorstellung wieder aufleben zu lassen: Es besteht weiter.
    So nebensächlich das Meer für Dürer war, für einen jungen spanischen Maler namens Alejo Fernández war es das Allerwichtigste: Mit seinem Werk beginnt sich der Atlantik dreißig Jahre nach Dürer einen festen Platz in der Malerei zu erobern und kann bald den Anspruch auf einen gewissen »Status« in der Kunst erheben. Das Bild Die Jungfrau der Seefahrer , von dem man glaubt, dass Fernández es um 1531 geschaffen hat, ist die erste bekannte Darstellung der Taten von Christoph Kolumbus auf der anderen Seite des Atlantiks und der Implikationen des Brückenschlags zwischen dem zentraleuropäischen und dem amerikanischen Kontinent. Auf ihm ist die auf Wolken schwebende Jungfrau Maria zu sehen, die wohlwollend auf spanische Forschungsreisende und zum wahren Glauben bekehrte Eingeborene herabschaut. Unter ihren Füßen breitet sich der Ozean aus, blau und ruhig und von Schiffen von verschiedenem Typ und aus verschiedenen Epochen befahren.
    Das Gemälde war riesig, man hatte es bei Fernández in Auftrag gegeben, um den Großen Audienzsaal in der Casa de Contratación damit zu schmücken, dem Sitz der Behörde, die von ihrem Hauptquartier im Alcázar von Sevilla aus alle offiziellen spanischen Forschungsreisen und andere Unternehmungen zur Vergrößerung und Erweiterung des Reichs dirigierte. Es sollte die Männer inspirieren, die in der Nachfolge von Kolumbus und Vespucci ins Unbekannte aufbrachen; es war das Mittelstück eines Triptychons, das den Altar zierte, an dem Gott um seinen Segen für eine weitere gefahrvolle Fahrt nach Westen angefleht wurde oder man ihm dankte, wenn ein Schiff glücklich in den Heimathafen zurückgekehrt war.

Das Meerwunder , um 1498 entstandener Kupferstich von Albrecht Dürer.

Der Atlantische Ozean wurde jetzt, von den Spaniern zumindest, als etwas angesehen, das unter der ewigen Obhut der Mutter Gottes stand. Er war von Gott zum Nutzen des Menschen, zur Verwendung durch ihn, geschaffen worden. Spätere Gemälde stellten dieses Meer als der Achtung und Verehrung würdiges Objekt dar. Auf Land- und Seekarten, Altarschirmen und -tüchern wie auch auf Wandteppichen für Kirchen in ganz Europa und in den fernen überseeischen Besitzungen waren bald formelle Darstellungen eines Meeres zu sehen, das man zu Recht heilig nennen könnte.
    Und dann war das Meer ganz plötzlich überall. Oder vielmehr die Schiffe waren es, und das Meer war unter, neben und jenseits von ihnen zu sehen, und zwar in einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Stimmungen. Dieses jähe Aufflammen des Interesses für alles Maritime setzte um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein und hatte mit dem Nationalstolz zu tun. Der Anblick einer Kogge, Karacke oder auch Galeone ihres Landes unter vollen Segeln oder in späterer Zeit eines Linienschiffs, das eine Breitseite auf ein gegnerisches abfeuert, das schon zu einem Gewirr aus zersplitterten Rahen und zerfetzten Segeln reduziert ist, scheint national gesinnten Menschen einen

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