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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ehrfurchtgebietende Macht innewohnt, eine todbringende Schönheit, die man zugleich fürchten und achten muss, von der man aber auch ganz überwältigt wird. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war das Meer – und für die meisten Europäer war das gleichbedeutend mit dem Atlantik, der ihre Küsten umspülte – kein bloßes Hindernis mehr, das man im Leben nach Kräften negieren sollte und ebenso in der Kunst, in der Literatur, bei jedem kreativen Unterfangen. Es war etwas, das man ehren und annehmen sollte.
    6. Steine am Rand des Ozeans
    Z ur selben Zeit, als die holländischen Maler den Atlantischen Ozean als Gewässer von unwiderstehlicher Grandiosität darstellten, begannen die Architekten der europäischen Reiche damit, angemessen großartige Städte an seinen Rändern anzulegen oder schon existierende zu erweitern. Es wäre vielleicht verstiegen zu behaupten, dass diejenigen, die diese Städte oder deren Gebäude entwarfen, dabei dem Ozean ganz bewusst auf irgendeine Weise Hommage erweisen wollten, doch erfreuen sich viele von ihnen heute eines architektonisches Erbes von einer gewissen Einzigartigkeit und Pracht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass aufgrund der Geschichte der Kolonisierung und des Austausches von Reichtümern zwischen Europa, Afrika sowie Nord- und Südamerika kein anderes der Weltmeere eine solche Konzentration urbaner Pracht aufzuweisen hat. Fünf Jahrhunderte sich in Steinbauten niederschlagender Kreativität haben dem Atlantik – das heißt seinen Ufern – ihren unauslöschlichen Stempel aufgedrückt. Diese Architektur ist ein genauso aussagestarkes Zeugnis für den Umgang des Menschen mit diesem gewaltigen, nahezu grenzenlosen Raum wie die Kunstwerke und die literarischen Texte, zu denen er inspiriert hat.
    Die riesige Zahl der am Ozean gelegenen Städte droht jeden Bericht über sie auf eine reine Auflistung zu reduzieren. Abgesehen von den Städten von Hammerfest bis nach Kapstadt im Osten und von St. John’s bis Comodoro Rivadavia im Westen und jenen großen und sich einem sofort aufdrängenden Metropolen wie New York und Rotterdam, Liverpool und Rio gibt es Orte wie Esbjerg, Vigo, Takoradi, Walvis Bay, Puerto Madryn, Wilmington und Halifax, und das sind nur einige der vielen Häfen und Siedlungen, die allein aufgrund der Nähe zum Ozean entstanden sind.
    Es ist möglich, eine Reihe der markantesten dieser Städte paarweise vorzustellen, das heißt eine, die auf der früher besiedelten und bebauten Ostseite des Atlantiks liegt, auf irgendeine logische Weise mit einer Partnerstadt auf der »jüngeren« Westseite zu koppeln. Dies nicht so sehr zum Zweck des direkten Vergleichs und nicht notwendigerweise aufgrund einer zwischen ihnen bestehenden formellen historischen Beziehung – wie es sie zwischen den Städten am Mersey und den Zuckerausfuhrhäfen in der Karibik zum Beispiel oder den europäischen Auswanderungszentren und Ellis Island mit seiner Aufnahmestation gibt. Diese Paare sollen und können einfach nur einen kleinen Einblick in die ganze Bandbreite städtebaulicher Ambitionen liefern, die der Atlantische Ozean hat wach werden lassen. Einige der an ihm liegenden Städte sind vor allem wegen ihres Alters bemerkenswert, einige wegen ihrer Schönheit oder Dramatik oder ihrer verblassenden Pracht; andere erregen wegen ihrer Energie Aufsehen und wieder andere wegen ihrer wirtschaftlichen oder politischen Bedeutung.
    Athen ist den meisten Berechnungen zufolge die älteste größere Stadt Europas. Das spanische Cádiz gehört zu den ältesten an der Atlantikküste des Kontinents. Behauptungen zufolge soll es 1104 v. Chr. gegründet worden sein, jedenfalls ist dies das Datum, das ein prominenter römischer Historiker in seinem Diarium angibt. Doch sogar die Bürger der Stadt, die ein besonders hohes Maß an Lokalstolz empfinden, halten das heute für unwahrscheinlich und geben sich mit dem neunten vorchristlichen Jahrhundert als Gründungsdatum zufrieden. Das war die Zeit, in der die Phönizier Cádiz als Handelsstützpunkt für ihre Fahrten nach Südwestbritannien und Nordwestafrika zu nutzen begannen.
    Und wenn auch in Cádiz zu keinem Zeitpunkt ein Parthenon oder eine Akropolis gestanden hat, gab es dort ebenfalls imposante öffentliche Gebäude. Eines davon, das später als das älteste erhaltene der Stadt identifiziert werden sollte – eine römische Ruine –, wurde zufällig genau bei Gelegenheit meines ersten Aufenthalts in Cádiz entdeckt, in den frühen 1980er

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