Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
angefreundet und seine Weiten weniger als beängstigend empfunden, sondern eher unter dem Aspekt der mit ihnen verbundenen kommerziellen Möglichkeiten gesehen haben, die Dichter dagegen waren noch nicht recht von ihm überzeugt. Während die Holländer das Glanzvolle an der See und der Seeschifffahrt mit dem Pinsel festhielten und Sir Walter Raleigh die Neue Welt erforschte (und Gedichte schrieb, in denen Maritimes kaum Erwähnung findet), verfasste beispielsweise sein Freund Edmund Spenser das Versepos The Fairie Queen , das nicht nur im Höchstmaß fantasievoll, sondern auch im Höchstmaß nautisch ist . In den zahllosen Büchern und Cantos dieses Werks kommt aber eine Auffassung von der Natur des Ozeans zum Ausdruck, die sich vollkommen von der der holländischen Maler unterscheidet; Spenser entwirft kein so glamouröses Bild vom Ozean, ihm zufolge war er angefüllt mit:
Höchst hässlichen Gestalten und schrecklich zu Schauendem,
Der Art, dass es in der Herrin Natur selbst Furcht aufsteigen lassen könnte,
Oder Scham darüber, dass ihrer geschickten Hand solch Mangelhaftes entschlüpft sein soll:
Alle möglichen missgestalteten Scheusale:
Quellköpfige Hydren und meerhebende Wale,
Große Strudel, die alle Fische die Flucht ergreifen lassen,
Glänzende Skolopender [Hundertfüßler], mit silbernen Schuppen bewehrt,
Mächtige Monocerosen [Krabben] mit unermesslich langen Schwänzen.
Auch Shakespeare – der die See unzählige Male erwähnt, aber in so fantasievoller Manier, dass die Zweifel wachsen, ob er sie wirklich jemals sah – ließ sich nicht in heiterer Weise über sie aus. Der Albtraum vom Ertrinken im Meer überfällt immer wieder Personen in seinen Dramen, wie zum Beispiel den Herzogs von Clarence, der auf Geheiß seines Bruders, des künftigen Königs Richard III., im Tower eingekerkert ist:
O Gott! Wie qualvoll schien mir’s zu ertrinken!
Welch grauser Lärm des Wassers mir im Ohr!
Welch scheußlich Todesschauspiel vor den Augen!
Mir deucht’, ich säh’ den Graus von tausend Wracken,
Säh’ tausend Menschen, angenagt von Fischen;
Goldklumpen, große Anker, Perlenhaufen,
Stein’ ohne Preis, unschätzbare Juwelen,
Zerstreuet alles auf dem Grund der See.
In Schädeln lagen ein’ge; in den Höhlen,
Wo Augen einst gewohnt, war eingenistet,
Als wie zum Spotte, blinkendes Gestein,
Da buhlte mit der Tiefe schlamm’gem Grund
Und höhnte die Gerippe ringsumher.
Und auch John Donne verband mit dem Atlantik Schauriges. In seinem 1597 in Briefform verfassten Gedicht »Der Sturm« heißt es:
Schneller als du diese Zeile zu lesen vermagst, griff der Wind,
Wie ein Schuss, den man nicht fürchtet, bevor man ihn fühlt, unsere Segel an;
Und was erst eine Bö’ genannt, dies
Trägt nun den Namen Sturm, wenn nicht gar Orkan.
Jonas, ich hab’ Mitleid mit dir und verfluche die,
welche, als der Sturm am wütensten getobt, dich aufgeweckt.
Der Schlaf ist das beste Heilmittel für jede Pein und erfüllt
Alle Aufgaben des Todes – außer der, einen sterben zu lassen.
Und dann brach die Aufklärung an, und mit ihr kam es zum Triumph des Verstands. Es war das Zeitalter von Denkern wie Descartes und Newton – und auch von John Milton. Er war einer der ersten englischen Dichter, die sich mit größerer Gelassenheit und weniger von Emotionen überschäumend über das Meer äußerten. Im siebten Buch von Das verlorene Paradies zum Beispiel bekundet er seine Bewunderung für die Meerestiefen, die er als von Gott geschaffen ansah:
[…] der Ozean
Umfloß die Oberfläche ungehemmt,
Nicht müßig, denn mit regem, warmem Saft
Erweichte er das ganze Rund und gab
Der Großen Mutter Gärung, zu empfangen,
Von Ursprungsfeuchte schwer, worauf Gott sprach:
»Es sammle sich das Wasser unterm Himmel
An einem Ort, daß man das Trockne sehe!«
[…]
Das Trockne aber hieß er Land, die Wasser,
Wo sie sich sammelten, hieß er das Meer.
Es sollte noch eine Weile dauern, bis das Meer zu dem wurde, was es heute ist: etwas voller Romantik – der Archetypus des Erhabenen, jener Eigenschaft natürlicher Schöpfungen, der es gelingt, das Großartige mit dem Erschreckenden zu verbinden. Gebirgsketten mit ihren schroffen Gipfeln und steilen Felshängen und den Gefahren durch Steinschlag, Lawinen und wütende Stürme sind klassische Beispiele dafür; ihre Ästhetik ist von einer Art, die Ehrfurcht und Verehrung auslöst. Die See wurde schließlich genauso gesehen – als etwas, dem eine
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