Der Attentäter - The Assassin
hast du recht.«
»Du hast es dir doch nicht anders überlegt?«, fragte der Anrufer nach einer Pause. »Du wolltest es. Ich dachte, du hättest eine alte Rechnung zu begleichen.«
Nazeri spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Bisher waren alles nur Worte gewesen, jetzt war es mit dem Gerede vorbei. Theoretisch konnte er vielleicht noch einen Rückzieher machen, doch tatsächlich war mit dem vor einem halben Jahr gegebenen Versprechen die Entscheidung gefallen. »Ich bin bereit, um jeden Preis«, sagte er. »Ich habe meine Zusage nicht vergessen, Erich.« Er schwieg kurz, und vor seinem geistigen Auge tauchte ein Gesicht auf, ein Gesicht, das er viele Jahre nicht gesehen hatte. Das er nie wieder sehen würde, zumindest nicht in diesem Leben. Plötzlich waren alle Zweifel verschwunden. »Ich könnte es nie vergessen.«
»Dann sehen wir uns morgen früh um zehn in Montreal, mein Freund. Lagerplatz Lake Forest, Container 124.«
Nazeri blickte auf die Uhr. »Wenn ich es bis dahin schaffen soll, muss ich ein paar Telefonate führen.«
»Dann will ich nicht weiter stören. Noch etwas, Amir.«
»Ja?«
»Ab jetzt wird durchgearbeitet. Bis Dienstag muss alles fertig sein.«
Damit war das Gespräch beendet. Nazeri hielt den Hörer noch für eine Minute in der Hand und starrte geistesabwesend auf die Wand. Er war völlig durcheinander. Kaum zu glauben, dass es jetzt tatsächlich so weit war.
Wenn er auf sein Leben zurückblickte, empfand er durchaus einen gewissen Stolz - mit seinen sechsundvierzig Jahren hatte er eine Menge erreicht. Geboren worden war er in Teheran, als fünftes von sieben Kindern. Seine Mutter war Französin gewesen, sein Vater Physikprofessor an der Technischen Hochschule. Obwohl seine Intelligenz außer Frage stand, war sehr früh klar, dass er die wissenschaftliche Begabung seines Vaters nicht geerbt hatte. An der Schule fand er nur mäßig Gefallen, und
noch weniger behagten ihm die armseligen materiellen Bedingungen, unter denen seine Familie leben musste. Als Kind hatte er einen Onkel begeistert von Europa erzählen gehört, und der Gedanke an ein anderes Leben hatte ihn während seiner gesamten Jugend begleitet. Er wollte den Iran nur noch verlassen und nie wieder zurückkehren. Mit dem Sturz des Schahs im Jahr 1979 sah er seine Chance gekommen. Ein knappes Jahr nach Khomeinis Machtübernahme verließ er das Land, doch sein Ziel hieß nicht - wie ursprünglich beabsichtigt - Europa, sondern Amerika.
Obwohl er in den Vereinigten Staaten zunächst nicht recht wusste, was er mit der ungewohnten Freiheit anfangen sollte, gingen seine Hoffnungen schließlich in Erfüllung. Aufgrund mangelnder Qualifikationen musste er zuerst eine Reihe mittelmäßiger Jobs annehmen, doch schließlich fand er eine Stelle bei einem Transportunternehmen in Ithaca. Die Firma gehörte einem Amerikaner iranischer Abstammung, der zuvor im Grundstücks- und Immobiliengeschäft gearbeitet hatte. Er fand Gefallen an dem fleißigen Nazeri, gab ihm im Sommer 1985 einen verantwortungsvollen Bürojob, weihte ihn nach und nach in alle geschäftlichen Interna ein und verkaufte ihm schließlich die Firma.
Zu jener Zeit standen auf dem Hof von Bridgeline Transport drei Sattelschlepper und fünf Anhänger, jetzt, gut zwanzig Jahre später, waren es zwanzig Zugmaschinen und fünfzig Anhänger, und die Firma beschäftigte dreißig Angestellte. Obwohl sich in letzter Zeit Gelegenheiten ergeben hatten, noch schneller zu expandieren, hatte Nazeri es vorgezogen, den Betrieb überschaubar zu halten, denn er hatte keine Lust, einen Teilhaber in sein Geschäft zu holen. Die Firma hatte sich auf Transporte nach Kanada spezialisiert, und aus diesem Grund
gab es neben dem Firmensitz in Ithaca noch eine Zweigstelle außerhalb von Montreal, direkt am St. Lawrence River. In den Räumen in Manhattan wurde der Papierkram abgewickelt, aber er hatte noch ein zweites Standbein, das Aufstellen von Getränkeautomaten.
Dem äußeren Anschein nach sah alles so aus, als wäre für Amir Nazeri der amerikanische Traum Realität geworden. Aus bescheidenen Verhältnissen und einem politisch unfreien Land stammend, hatte er es in seiner neuen Heimat zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Doch was er insgeheim fühlte und dachte, hätte ihm nahestehende Menschen geschockt - wenn es sie gegeben hätte. Er hatte nie eine enge Bindung zu seinen Eltern gehabt, und seine Geschwister waren ihm völlig gleichgültig. Wahre Freunde oder ernsthafte Beziehungen zu
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