Der Attentäter - The Assassin
Kealey durchstöberte den Schreibtisch, fand aber kein einziges Schriftstück. Er öffnete den Laptop und schaltete ihn ein, bekam aber nur eine Fehlermeldung. Dann sah er die Tüten auf dem Boden und hob eine auf. Ein schwacher Rauchgeruch stieg ihm in die
Nase. Seine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, sie waren viel zu spät gekommen.
Mittlerweile stand Bennett vor den Fenstern. Er reckte müde die Arme und blickte auf den Fluss. »Ich kann’s nicht fassen«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang zugleich verärgert und beschämt. »Tut mir leid. Ich hätte das Haus von anderen beobachten lassen sollen.«
»Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte Kharmai, die immer noch auf das verunstaltete, blutverschmierte Gesicht von Thomas Rühmann starrte. Seltsam, aber der Anblick berührte sie überhaupt nicht. Es war merkwürdig; nach ihrem Rauswurf waren ihr die Tränen gekommen, doch dieses entsetzliche Bild ließ sie kalt. Sie fragte sich, ob sie in den paar Jahren bei der CIA schon zu viel gesehen hatte und ob ihr dabei wichtige menschliche Gefühle abhandengekommen waren. »Wir sind einfach zu spät gekommen. Wahrscheinlich hätten wir schon vor einer Woche hier sein müssen.«
»Vielleicht haben Sie recht, aber …« Etwas erregte Bennetts Aufmerksamkeit, und er schob die Vorhänge zur Seite. »Schei ße, was ist das?«
Sofort wusste Kealey, dass etwas nicht stimmte. Er sah in dem hellen Licht etwas Silbernes aufblitzen, packte Kharmais Arm und schrie: »Raus! Los, wir müssen abhauen!«
Bennett drehte sich mit erschrocken aufgerissenen Augen um, doch Kealey sah es nicht mehr. Seine Gedanken waren nur noch darauf gerichtet, in das Wohnzimmer zu gelangen. Er warf sich hin und riss Kharmai mit zu Boden. Sie schrie, verlangte wahrscheinlich eine Erklärung, aber er hörte nichts mehr. Hinter ihnen explodierte etwas, und Hunderte von tödlichen Projektilen pfiffen durch die Luft.
Vanderveen fluchte. Der Winkel stimmte nicht, er hatte es von Anfang an gewusst. Er sah nur den stämmigen Mann, der aus dem Flur in das Büro getreten war. Er wusste, dass Kealey und die Frau aus dem Wohnzimmer gekommen sein mussten, weil der andere sich nach links drehte und sich seine Lippen bewegten. Doch dann hatte er nach den Vorhängen gegriffen, und ihm war keine andere Wahl geblieben, als sofort zu reagieren.
Er nahm das Fenster ins Visier und drückte ab.
Im Moment der Explosion donnerte es plötzlich, wodurch der Lärm weniger auffiel. Am Himmel zuckten Blitze, als die Fensterscheiben im vierten Stock von Rühmanns Haus nach außen gedrückt wurden und Splitter auf den Fluss hinabregneten. Dann erlosch in dem Büro das Licht, während es in den Etagen darunter eingeschaltet wurde. Vanderveen wartete nicht weiter, sondern griff sofort nach dem unter dem Regencape liegenden Funkgerät.
»Sie sind im vierten Stock«, schrie er, um den Sturm zu übertönen. »Geh jetzt rein. Sofort!«
Raseen stieß die Tür des Mercedes auf und rannte durch den prasselnden Regen auf die Haustür zu. In der linken Hand hielt sie einen Rucksack mit sechs Zwei-Liter-Kanistern mit Propan. Vor zwei Stunden hatten sie das Flüssiggas an einer Tankstelle an der Müllerstraße gekauft. Sie schob den Schlüssel der Hausmeisterin ins Schloss und stand kurz darauf im Flur.
Auf der Treppe stand ein Mädchen mit geflochtenem blondem Haar, das sie verwirrt anschaute. Offenbar wollte es etwas sagen, doch es kam nicht mehr dazu. Raseen hob die Beretta und drückte zweimal ab. Der Schalldämpfer funktionierte perfekt, es war kaum etwas zu hören. Die erste Kugel schlug
in das rechte Auge des Mädchens, die zweite in die holzgetäfelte Wand. Es spielte keine Rolle, das Mädchen brach tot am Fuß der Treppe zusammen, ohne noch einen Laut von sich zu geben.
Raseen eilte auf den Lift zu, neben dem ein Abfalleimer stand. Sie drückte auf den Knopf für den vierten Stock, und als die Türen aufglitten, schob sie den Abfalleimer dazwischen. Dann drückte sie alle Knöpfe gleichzeitig, rannte zur Haustür zurück und warf den Rucksack auf die Treppe. Sie trat ein paar Schritte zurück, hob erneut die Beretta, hielt die andere Hand schützend vors Gesicht und drückte ab. Der Rucksack explodierte, brennendes Propan ergoss sich über Wände und Stufen.
Nachdem sie den Schalldämpfer abgeschraubt und in die Tasche gesteckt hatte, schob sie die Pistole in den Hosenbund ihrer Jeans und zog die Bluse darüber. Als sie das Haus verließ, hörte sie Schreie aus dem
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