Der Attentäter - The Assassin
amerikanischen und irakischen Truppen schienen die Lage wieder unter Kontrolle zu haben, doch es gab immer noch die unbeantwortete Frage nach Hakim Rudaki und seinem Cousin Reza Bagheri.
»Dann haben sie beim FBI die Nase voll von ihm?«, fragte Kealey.
Harper nickte. »Für sie stellt es sich jetzt auf einmal so dar, dass Rudaki ihnen nichts als Lügen aufgetischt hat. Sie waschen ihre Hände in Unschuld, versuchen es zumindest … Diese Geschichte hat ihrem Ansehen schwer geschadet, was unangenehm ist, weil die Affäre Hanssen auch noch nicht lange zurückliegt.«
»Was denken Sie?«, fragte Kealey.
»Dass er uns vielleicht doch ein paar Hinweise gegeben hat, wenn auch nur versehentlich.«
»Wegen seines Cousins.«
»Genau. Angeblich hat der Minister uns Informationen zukommen lassen, weil er mit dem Versuch seines Regimes unglücklich war, durch einen Mord an Premierminister al-Maliki und Tabrizi die amerikanische Strategie im Irak zu unterminieren. Das stimmte natürlich alles nicht, der Iran war zu keinem Zeitpunkt beteiligt. Aber wenn Bagheri nichts damit zu tun hatte, warum hat Rudaki ihn dann überhaupt ins Spiel gebracht?«
»Er musste sich hinter jemandem verstecken - wegen der Lügen, die er uns erzählt hat. Wahrscheinlich hat sich sein Cousin da geradezu angeboten.«
»Vielleicht«, murmelte Harper. »Wir reden immer noch mit ihm. Meiner Meinung nach weiß Bagheri sehr viel mehr, als er zugibt. Folglich suchen wir nach einer Möglichkeit, ihn unter Druck zu setzen. Wenn etwas dabei herauskommt, lasse ich es Sie wissen. Die Frage ist, ob wir in diesem Fall weiter mit Ihnen rechnen können.«
Kealey blickte Harper an. »Sind Sie deshalb hergekommen?«
»Nein. Es wäre ohnehin nur ein kurzfristiger Job. Hören Sie, ich möchte, dass Sie wieder voll einsteigen. Was verlangen Sie für Ihre Rückkehr nach Langley?«
Kealey schnippte etwas Schnee von dem Holzgeländer und betrachtete geistesabwesend, wie die Flocken auf die Eisdecke des zugefrorenen Teichs fielen. »Ich möchte zurückkehren, doch fürs Erste ist mein Platz hier.«
»Kharmai will Sie nicht sehen, wahrscheinlich für sehr lange Zeit.«
»Dann warte ich eben. So lange, bis sie bereit ist.«
Harper schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber dagegen und nickte bedächtig. Sein Blick glitt zu dem Herrenhaus und den davor geparkten Fahrzeugen hinüber. »Okay, ich verstehe das. Rufen Sie an, wenn Sie bereit sind.«
Kealey nickte. Ihre Blicke trafen sich, und sie verabschiedeten sich mit einem festen Händedruck. »Gute Fahrt. Grüßen Sie Julie von mir.«
»Wird gemacht.«
Kealey schaute ihm nach, doch es dauerte nicht lange, bis sein Blick wieder zu dem Herrenhaus hinüberglitt. Für einen
winzigen Augenblick glaubte er hinter einer Fensterscheibe im zweiten Stock ein verbundenes Gesicht zu erkennen, doch dann war es wieder verschwunden.
Er blieb noch lange dort stehen, auf den zugefrorenen Mühlteich starrend. Was er gerade gesagt hatte, war wörtlich gemeint, doch er wusste, dass Harper ihn nicht wirklich verstand. Er würde in der Stadt bleiben und jeden Tag hierherfahren. Bis ans Ende seiner Tage, wenn es sein musste. Ihm war nicht ganz klar, warum Naomi ihm schon nach so kurzer Zeit so viel bedeutete, aber er war sich seiner Gefühle sicher. Er wollte sie nur noch wiedersehen. Natürlich hatte er ihr auch einiges zu sagen, doch in erster Linie wollte er sie sehen. Er hätte alles dafür gegeben.
Als er den Rückweg einschlug, begann es leicht zu schneien, und als er schon fast bei seinem Wagen war, öffnete sich die schwere Eichentür, und er drehte sich um.
Everett wirkte erleichtert, ihn noch rechtzeitig erwischt zu haben. »Sie hat ihre Meinung geändert. Meiner Ansicht nach hat sie nur gewartet, bis Mr Harper gefahren war. Sie möchte Sie jetzt sehen.«
58
Loudoun County, Virginia
Kealey folgte Everett über die schmale Treppe in den zweiten Stock. Früher hatten sich dort Lagerräume befunden, doch seit der umfassenden Renovierung Mitte der Siebzigerjahre gab es hier vier große Zimmer, jedes mit einem eigenen Bad. Als er hinter der Schwester durch den Flur ging, wurde ihm immer unbehaglicher zumute. Naomi war endlich bereit, ihn zu sehen, doch er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.
Er fragte sich, ob sie ihn hasste, ob sie ihm verübelte, dass er nicht abgedrückt hatte, bevor Vanderveen zustach. Es schien eher unwahrscheinlich, aber der bloße Gedanke war fast unerträglich. Ihr musste alles so einfach
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