Der Attentäter - The Assassin
abzog.
Kealey ging über einen Fußweg auf die Eingangstür aus Eichenholz zu. Ein Stück weiter rechts stand ein schwarzer Suburban. Der Motor lief, vermutlich auch die Heizung. Durch die getönten Seitenfenster konnte er nichts sehen, doch nach ein paar Schritten warf er einen Blick auf die Windschutzscheibe, hinter der er ein bekanntes Gesicht erblickte. Offensichtlich hatte Harpers langjähriger Fahrer seine Grippe überwunden. Sonst schien niemand in dem Fahrzeug zu sitzen, und als er sich umblickte, war ebenfalls nichts von Harper zu sehen. Wahrscheinlich war er im Haus.
Nachdem er geschellt hatte, öffnete ihm Jean Everett die Tür, die Oberschwester. Everett war Anfang vierzig. Ihr blondes Haar wurde allmählich grau, und sie hatte ein gütiges Gesicht,
das etwas besorgt und müde wirkte. Sie lächelte Kealey an und streckte die Arme aus, um seine Blumen entgegenzunehmen. Es war eine Art tägliches Ritual geworden; sie stellte die Blumen in eine Vase und entließ ihn mit einer Entschuldigung und der Bitte, er möge sich noch ein paar Tage gedulden. Sie brachte die Blumen erst nach oben, wenn er gegangen war, als wollte sie nicht, dass er sich in dem Haus umschaute. Das war ziemlich eindeutig, aber er machte ihr keinen Vorwurf daraus, weil er wusste, dass sie an das Wohl ihrer Patientin dachte.
»Wie geht es ihr?« Auch diese Frage gehörte zum Ritual, und er bekam die übliche Antwort.
»Besser.« Wieder ein Lächeln, aber ein etwas trauriges. Er wusste es nicht genau, glaubte aber, dass Everett ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte. »Gott sei Dank hat sie jetzt etwas mehr Appetit. Gestern war sie sogar draußen, nachdem Sie gefahren waren, und auch das tut ihr gut.«
»Ich bin froh, das zu hören«, antwortete er. Dann, nach einer unbehaglichen Pause: »Will sie mich sehen?«
Wie an jedem Tag der letzten Wochen schüttelte Everett traurig den Kopf. »Es geht nicht, Mr Kealey. Sie ist noch nicht so weit.«
Er wandte den Blick ab, bemüht, seine Enttäuschung zu kaschieren.
Die Schwester legte ihm besänftigend eine Hand auf den Arm. »Es wird bald so weit sein. Lassen Sie ihr noch etwas Zeit.«
Kealey nickte. »So viel sie braucht.«
Zu seiner Rechten hörte er ein Geräusch, das Hoffnung aufkeimen ließ, aber es war Harper, der mit zwei dampfenden Styroporbechern aus der Küche gekommen war und ihm einen anbot. »Ich habe über Funk gehört, was der Wachtposten am
Tor gesagt hat, also beginnen Sie nicht, an Telepathie zu glauben. Vielleicht sollten wir ein paar Schritte gehen.«
Kealey warf einen Blick aus dem Fenster. Es sah so aus, als würde es wieder zu schneien beginnen, doch das war okay, und er brauchte frische Luft.
Draußen schlenderten sie langsam in Richtung des Teichs. Die Mühle mit den windschiefen, bewachsenen Holzwänden war jahrelang vernachlässigt worden und stand weiter rechts. Das Mühlrad war in der Eisdecke des Teichs eingefroren. Sie überquerten die schmale Brücke, um auf dem Kiesweg auf der anderen Seite weiterzugehen.
»Wann sind Sie gekommen?«, fragte Kealey schließlich.
»Ein paar Minuten vor Ihnen.« Harper zögerte, offenbar darüber nachdenkend, was in Kealeys Kopf vorging. Seit Anfang Oktober war es sein erster Besuch in Windrush Manor, und ihm war bewusst, wie das für Kealey aussehen musste.
Ihm war es lieber, ein anderes Thema anzuschlagen. »Wie geht’s dem Arm?«
Er steckte immer noch in einer Schlinge, und Kealey blickte darauf hinab. »Nicht schlecht. Sie haben mich ziemlich schnell wieder zusammengeflickt.«
»Erzählen Sie keinen Unsinn. Ich habe mit den Ärzten geredet, Sie wären auf dem Weg ins Krankenhaus fast verblutet. Also spielen Sie die Sache nicht herunter.«
Kealey wandte den Blick ab. »Was mir zugestoßen ist, war wirklich nicht schlimm. Nicht, wenn man darüber nachdenkt.«
Der unausgesprochene Gedanke stand zwischen ihnen, doch beide schienen nicht darüber sprechen zu wollen. Eine Zeit lang gingen sie nebeneinander her, ab und zu einen Schluck Kaffee trinkend, aber das Gespräch machte immer einen Bogen
um das Thema Kharmai. Stattdessen redeten sie darüber, worüber sie während des letzten Monats immer geredet hatten, aber es war so viel passiert, dass es gut war, die Fakten noch einmal Revue passieren zu lassen.
Als der weiße Isuzu - zwei Stunden, nachdem er vor dem Renaissance Hotel auf die Seite gekippt war - schließlich von einem Spezialteam des NYPD geöffnet wurde, sorgten die Funde im Laderaum für einen
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