Der Attentaeter von Brooklyn
war. Als einer von ihnen sich umdrehte, erkannte Omar Jussuf das gleiche Gesicht, das er, von Autoscheinwerfern flüchtig beleuchtet, am vergangenen Abend in Little Palestine gesehen hatte. Ismail gehört zur libanesischen Delegation , dachte er und atmete erleichtert auf. Er ist als Diplomat hier. Allah sei Dank, es war ein Irrtum, ihn mit dem Mord in Verbindung zu bringen.
Er drängte sich seitwärts durch die Menge, drückte den Mantel fest an sich, aber dessen Umfang machte ihm doch das Fortkommen schwer. Jedes Mal, wenn er aufblickte, fürchtete er, Ismail könnte verschwunden sein. Der junge Mann war stark gealtert – Omar Jussuf hätte ihn für zwanzig Jahre älter als seine vierundzwanzig Jahre halten können. Sein Haar war schütter und ergraut, und sein olivfarbener Teint hatte einen gelblichen Unterton. Aber es war zweifellos Ismail.
Als Omar Jussuf sich fast aus der Menge gelöst hatte, fing er Ismails Blick auf. Im Gesicht seines ehemaligen Schülers entdeckte er einen Anflug von Panik. Dann kniff Ismail die Augen zusammen. Omar Jussuf hob die Hand, um ihm zuzuwinken, aber der Junge wandte sich ab und ging durch die Tür hinaus.
Kapitel
16
Zitternd presste Omar Jussuf sich den Mantel fester gegen die Taille und schlitterte im nachlassenden Schneefall über die Plaza vorm UN-Gebäude. Mit einem Kopfschütteln befreite er sich aus der merkwürdigen Trance, die ihn überkommen hatte, seit er den Konferenzsaal verlassen hatte, und erinnerte sich daran, den Mantel anzuziehen. Ismail beschäftigte ihn. Schämte sich der Junge so sehr für seinen Verrat im israelischen Internierungslager, dass er seinem geliebten ehemaligen Lehrer gleich zweimal aus dem Weg gegangen war? Oder hatte er vielleicht andere Gründe für sein Ausweichen? Vielleicht bin ich auch gar nicht so beliebt, dachte Omar Jussuf.
Er entfernte sich von der Konferenz mit dem banalen Delegiertengeschwätz und aus den überheizten Räumen, die ihn hatten schwindelig werden lassen. Er versuchte, harmlose Entschuldigungen für Ismails Verhalten zu finden, musste sich jedoch widerwillig eingestehen, dass sich der Junge verdächtig benommen hatte. In seinen Halbschuhen rutschte Omar Jussuf im Schneematsch aus und musste die Arme ausstrecken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er blieb stehen, atmete heftig und spürte die Abneigung der vorbeigehenden New Yorker einem Fremden gegenüber, der nicht auf Schnee laufen konnte. Das UN-Gebäude versank im niedrigen Gewölk. Bestimmt ist Ismail im offiziellen Auftrag hier, um zu reden und zu reden und zu reden, und sonst gar nichts .
Omar Jussuf überquerte die Fifth Avenue. Die Verwicklung der Assassinen, seiner Lieblingsschüler, in diesen Fall, verstörte ihn. Sie unterminierte die Zufriedenheit, mit der er sonst an seine Jahre als Lehrer zurückzudenken pflegte. Wie viele andere Schüler, die er für harmlos gehalten hatte, waren seitdem zu Kriminellen und Kämpfern geworden oder prügelten ihre Frauen? Konnten auch welche zu Mördern geworden sein? Ala hatte ihm erzählt, dass seine Mitbewohner, zwei von Omar Jussufs Lieblingsschülern, möglicherweise einen Mord geplant hatten. Wo hatten sie gelernt, derlei Dinge überhaupt in Erwägung zu ziehen? Seine Klasse war ein Ort der Wärme und intellektueller Fragestellungen gewesen, aber wenn seine Schüler in die Welt entlassen wurden, wurden sie von deren Wahnsinn angesteckt. Das war eine Korruption, die sich so wenig vermeiden ließ wie die Schneeflocken, die sich still auf seinem Mantel niederließen.
Wofür ist mein Unterricht eigentlich gut?, dachte er. Geschichte sollte seinen Schülern Einsichten in die Verheerungen vermitteln, denen die arabische Bevölkerung im Laufe der Jahrhunderte durch Gewaltanwendung ausgesetzt gewesen war. Er hatte immer gehofft, dieses Wissen würde sie dazu bringen, die Schmutzigkeit der gegenwärtigen palästinensischen Politik abzulehnen. Widerwillig wandte er sich wieder seinem Verdacht gegenüber den Assassinen zu und merkte, dass es ihn zornig machte, dass die Lehren, die er in seiner Klasse vermittelt hatte, zur Basis für eine Verschwörung, vielleicht sogar für einen Mord geworden waren.
Er erreichte den Gehweg auf der anderen Straßenseite und stieß wütend die Luft aus. Mit ihren Hochhäusern, die wie die schroffen Wände einer Schlucht wirkten, dehnte sich die Avenue nach Süden und Norden aus, gähnte an beiden Enden ins Nichts, als erstreckte sie sich bis an die Grenzen der Welt. Alles in New
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