Der Attentaeter von Brooklyn
in New York im Zusammenhang mit dem Mord in der Wohnung, in der seine drei ehemaligen Freunde gelebt hatten?
Eine kleine Latinofrau schob ihren Putzwagen an ihm vorbei. Sie hatte die Last ihres mächtigen Hinterns auf die linke Hüfte verlagert. Vor der Halle der Vollversammlung blieb sie stehen und polierte das Fenster, an das eine Gruppe Schulkinder die Nasen gedrückt hatte. Omar Jussuf fühlte sich schuldig und wischte seinen Fingerabdruck mit dem Taschentuch weg.
Er folgte dem Weg der Putzfrau durch den Flur. Der schlichte, modernistische Stil entsprach nicht seinem Geschmack. Ihm gefielen die gewölbten Decken und bunten Fliesen des Nahen Ostens besser. Aber es war ein guter Ort, um den fallenden Schnee zu beobachten, und er spürte immer noch die Berührung dieser leichten, schönen Kristalle auf seinem Gesicht.
Er schaute auf die Uhr. Es war fast zehn. Er würde sich heute Vormittag auf der Konferenz zeigen, um seinen Chef bei Laune zu halten, da er bereits die gestrige Eröffnungssitzung versäumt hatte; aber dann würde er die U-Bahn nach Bay Ridge nehmen, um mit Marwan zu sprechen. Er drehte sich wieder zum Fenster um, doch der Schneeflockenzauber verging, als er sich wieder an das Blut erinnerte, das er in Little Palestine gesehen hatte.
Eine schlanke blonde Russin führte eine Touristengruppe zu Norman Rockwells Wandgemälde Golden Rule . »Tue das für andere, von dem du wünschst, dass sie es für dich tun«, flüsterte Omar Jussuf. Hinter der Reisegruppe stehend, blickte er in Rockwells Mosaikgesichter, die die Wand füllten. Sie sollten alle Nationen der Welt repräsentieren. Sie erwiderten seinen Blick wie das Völkergemisch, das in jedem vollen New Yorker U-Bahn-Waggon aus den Fenstern schaute. Keiner von ihnen, dachte er, sah ihm ähnlich.
Die russische Fremdenführerin dirigierte die Touristen an Omar Jussuf vorbei. Sie strömten an ihm vorüber, als sei er ein Fels in der Brandung. Als sie vorbei waren, stand noch ein einzelner Mann vor dem Wandgemälde und grinste ihn hämisch an.
»Einen Morgen der Freude, Stellvertretender Generaldirektor Abdel Hadi«, sagte Omar Jussuf.
»Morgen des Lichts, Abu Ramis.« Der Schuldezernent ging auf Omar Jussuf zu, streckte den Arm aus und berührte seinen Steppmantel. »Der entspricht aber gar nicht ihrem üblichen Modeniveau.«
»Vielleicht könnte ich mir stattdessen einen Ihrer Polyesteranzüge ausleihen.«
»Oder Ihr Sohn könnte Ihnen ein paar Knastklamotten borgen.«
Omar Jussufs Kopf zuckte zurück, als hätte er einen Schlag auf die Nase bekommen.
»Ihr Freund Chamis Sejdan hat gestern Abend versucht, den Präsidenten zu überreden, bei der New Yorker Polizei zu intervenieren. Wegen Ihres Sohns. Ich war in dem Moment zufälligerweise in der Suite des Präsidenten zugegen.« Voll Selbstgefälligkeit über seine Nähe zur Macht vibrierte Abdel Hadis Atem wie das sinnliche Schnurren einer Katze. »Leider hat der Präsident entschieden, dass er da gar nichts machen kann.«
»Für Interventionen gibt es keinen Grund. Mein Sohn wird bald freigelassen.«
»Vielleicht können ja Ihre UN-Kumpel etwas für den Jungen tun. Ich bin mir sicher, dass es Sie interessieren dürfte, dass ihr Hauptredner der Vater eines Mordverdächtigen ist.«
Selbst wenn wir beide der gleichen Delegation angehörten, würde dieser Mann mich demontieren. So läuft das eben in der palästinensischen Politik, dachte Omar Jussuf. Ich als UN-Delegierter bin wahrlich Freiwild . »Mein Sohn wird nicht verdächtigt.«
»Wie formuliert man es dann – er hilft der Polizei bei ihren Ermittlungen? Ist das so?«
Omar Jussuf schnalzte mit der Zunge.
»So, wie er einmal den Israelis geholfen hat?«, sagte Abdel Hadi.
»Er hat nichts dergleichen getan. Die Israelis haben ihn zusammen mit Hunderten anderer junger Männer aus Bethlehem verhaftet. Es war eine Großrazzia während der Intifada. Fast jeder Mann unter dreißig wurde eingesperrt. Es gab dafür keinen Grund. Das wissen Sie doch genau.«
Abdel Hadi glättete eine schwarze Haarsträhne auf seinem dunklen kahlen Schädel. Er wischte die Schuppen, die an seinen Fingern klebten, am Aufschlag seines Jacketts ab und leckte sich mit seiner gelblichen Zungenspitze die Lippen. »Ihr Sohn ist des Mordes angeklagt –«
»Er ist überhaupt nicht angeklagt –«
»– und trotzdem bestehen Sie darauf, dass die Umstände ihn bald genug als völlig harmlos entlasten.«
»Das ist er natürlich auch.«
»Vielleicht hängt man ihm ja
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