Der Attentaeter von Brooklyn
York kam ihm fremd und empörend vor. Bevor er die U-Bahn nach Brooklyn nahm, beschloss er, dass er sich davon überzeugen musste, dass es noch einen Ort gab, an dem seine Beziehungen unkompliziert und liebevoll waren. Er ging ins Hotel zurück und fuhr mit dem Fahrstuhl, behelligt von einem lärmenden Zeichentrickfilm, der auf einem Monitor über der Tür flimmerte, auf seine Etage. In seinem Zimmer setzte er sich aufs Bett und rief seine Frau an.
»Omar, warum hast du mich nicht angerufen?«, sagte Marjam. »Ich habe dir gestern eine Nachricht hinterlassen.«
Omar Jussuf schaute auf ein blinkendes Rotlicht an dem Telefon. Jetzt weiß ich, was das bedeutet , dachte er. »Ich habe die Nachricht nicht bekommen, Liebling, aber ich bin sehr froh, deine Stimme zu hören.«
»Ich habe mir Sorgen gemacht.«
Er wollte fragen, wie es zu Hause ginge, doch Marjam redete mit einem aufgeregten Zittern in der Stimme weiter. »Aber sag mir, wie geht es meinem lieben Sohn?«
Omar Jussuf legte die Finger an die Stirn. Ich bin ein Idiot, dachte er. Auf diese Frage habe ich mir keine Antwort zurechtgelegt. Ich habe nur an meine eigene Einsamkeit gedacht. Ich hätte sie gar nicht anrufen sollen . »Allah sei Dank, es geht ihm gut, Liebling. Ich habe ihn in Brooklyn besucht, und ich denke, dass ich ihn bald noch einmal sehen werde.«
»Was gibt es denn Neues von ihm? Allah segne ihn.«
»Hier schneit es, Marjam. Manchmal richtig starker Schneefall. Ich sitze hier oben in meinem Hotel und schaue in den Schnee hinunter, der auf die Straßen fällt.«
Marjam kicherte. »Auf den Schnee hinunter schauen. Du musst ja in einem Wolkenkratzer sein. Aber ich habe nach Ala gefragt.«
»Abu Adel ist auch hier, mit dem Präsidenten.«
»Er soll Ala bloß nicht in eine Bar mitnehmen, und sieh zu, dass Abu Adel anständig isst. Er muss auf seinen Diabetes achten. Was hast du denn gegessen, Omar?«
Er seufzte erleichtert, weil er sie von ihrem Sohn abgelenkt hatte. »Ich habe libanesisch gegessen. War gar nicht so schlecht.«
»Wie hast du denn in New York ein libanesisches Restaurant gefunden?«
Ich bin mit dem Mann mitgegangen, der unseren Jungen ins Gefängnis gesteckt hat , dachte er. »Ein Bekannter von Ala hat mich mitgenommen. Wie geht’s den Kindern?«
»Miral und Dahud sind unten mit Nadia. Sie hilft ihnen bei ihren Hausaufgaben.«
Bei der Erwähnung seiner Enkelin und der beiden Kinder, die er nach dem Tod ihrer Eltern während der Intifada adoptiert hatte, lächelte er zufrieden. Bei seiner Rückkehr nach Bethlehem würde er Nadia die NYPD-Mütze schenken. Sie liebte Detektivgeschichten und würde sich über das Geschenk freuen. Jetzt kam er sich gar nicht mehr so blöd vor, dass er die Mütze gekauft hatte. »Ich habe ein Geschenk für Nadia«, sagte er.
»Das will ich hoffen, aber vergiss nicht, auch etwas für Miral und Dahud zu kaufen und für die anderen beiden von Ramis. Ich weiß, dass sie dein Liebling ist, aber du musst fair bleiben.«
»Du bist mein Liebling. Soll ich dir auch etwas kaufen und mitbringen, mein Schatz?«
»Nur einen Mann, der nach einer Woche mit amerikanischem Fast Food Appetit aufs Essen seiner Frau hat. Hast du Ala das Geschenk gegeben, das ich dir für ihn mitgegeben habe?«
Omar Jussuf hustete. »Noch nicht. Später, heute, so Allah will. Ich bin sicher, ihn noch zu sehen.«
»So Allah will. Richte ihm meine Liebe aus, und sag ihm, dass ich mit ihm reden und ihn bald sehen möchte.«
Nachdem Omar Jussuf aufgelegt hatte, ließ er die beruhigende Stimme seiner Frau in seinen Gedanken nachklingen. Aber die tröstlichen Worte vergingen, und er hörte sie den Namen ihres Sohnes wie ein Mantra der Schuld aussprechen, Ala, Ala, Ala , das ihn für seine Täuschung tadelte. Das Nachrichtenlicht auf dem Telefon schien den Namen des Jungen anzuzeigen, ein alarmierendes Blinksignal. Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen.
Das Telefon schrillte. Aufgeschreckt starrte Omar Jussuf es einen Moment an. Dann hob er ab. »Marjam?«
» Ustas Abu Ramis? Möge der gnädige Allah Sie segnen, o Ustas . Hier spricht Nahid Hantasch. Wie geht es Ihnen?«
»Allah sei Dank, o Nahid.«
Der PLO-Bandenführer ließ eine Reihe Segensgrüße und -wünsche vom Stapel. Er ist schon lange in Amerika, wo man sofort auf den Punkt kommt, dachte Omar Jussuf, aber wenn er Arabisch spricht, ist er so höflich und formell wie der Muhktar eines Dorfs in Palästina . »Möge Allah Ihnen Frieden schenken«, sagte Omar
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