Der Attentaeter von Brooklyn
kam aus der Küche, als Omar Jussuf sich bückte, um das Buch aufzuheben.
»Ist das nicht Nisars Koran?«, fragte Ala.
»Glaubst du etwa, ich trüge ein Exemplar in der Gesäßtasche mit mir herum? Natürlich ist es Nisars.« Omar Jussuf lachte rau und abgehackt. »Er scheint eine Schwäche für al-Rum zu haben.«
Ala lächelte wehmütig. Omar Jussuf war erleichtert, dass sein Sohn zumindest noch für die entfernteren Ausläufer der Freude erreichbar war. »Das ist sein Lieblingsvers«, sagte der Junge. »Er mochte die Zeilen über die Gefährtinnen, die mit uns in Frieden leben sollen.«
»Rania?«
Alas Lächeln wurde spröder. »Als er noch religiös war, hat Nisar davon gesprochen, zum Märtyrer werden zu wollen. Er glaubte anscheinend, dass er endlosen Sex mit den Huris im Paradies haben könnte, wenn er im Kampf für den Islam ums Leben käme.«
»Ach, komm schon, so etwas glauben doch nur Jungs vom Dorf. Dafür war Nisar zu klug.«
»Ich glaube, er hat versucht, sich selbst von etwas zu überzeugen – vielleicht von der Richtigkeit der Religion –, und deshalb hat er sich dieses simple Konzept zusammengereimt.«
»Hat er seine Ansichten geändert, als er zu beten aufhörte?«
»Als er Rania kennenlernte. Sie waren ineinander verliebt, Papa. Deswegen mochte er den Vers so sehr.«
Die Scheichs zitieren den Passus als Beweis dafür, dass die Huris gar keine himmlischen Schönheiten sind. Es sind unsere Frauen aus dieser Welt, die Allah im Paradies herausputzt, dachte Omar Jussuf. Und das hätte es für Nisar nur noch dringlicher gemacht, Rania jetzt zu erobern.
»Er hat dann auch aufgehört, vom Märtyrertum zu reden«, sagte Ala. »Die zweiundsiebzig Jungfrauen da oben im Paradies brauchte er nicht mehr. Er wollte nichts als das Mädchen von nebenan aus der Fifth Avenue.«
»Und du, mein Sohn? Welchen Lohn erwartest du dir hier oder im Paradies?«
»Ich möchte Mamas Hummus essen und meine Neffen und Nichten sehen«, sagte Ala. »Ich spekuliere nicht aufs Paradies, aber ich weiß, dass es hier in Brooklyn nicht ist.«
Kapitel
24
Während Omar Jussuf am Fenster stand, erinnerte ihn das fahle Zwielicht an die holzkohlenartige Haut eines starken Rauchers. Er fragte sich, ob dem Himmel deshalb der Atem fehlte, um die niedrige Wolkendecke fortzublasen. Erschöpft von den schlaflosen Nächten in der Zelle des Untersuchungsgefängnisses schnarchte Ala auf dem Sofa. Sein Asthma verlieh jedem Atemzug eine Coda hoher Pfeiftöne wie das Gekläffe eines verschreckten Hundes.
Omar Jussuf zwinkerte, als die Straßenlampen rot glühend aufflackerten. An einer Ladentür schlug eine Klingel an, und er schaute nach unten. Eine Frau, die ein Plakat gegen ihr Knie gelehnt hatte, kramte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Sie trug ein schwarzes, golden gesäumtes Kopftuch. Als sie das Café abschloss, blickte Rania nach oben. Omar Jussuf trat hinter den Vorhang und sah, dass sie lächelte.
Schluss mit der kriminellen Belagerung Gazas durch Israel , stand auf dem Plakat. Es überraschte Omar Jussuf, dass sie sich so stark für Politik interessierte, um sich an einer Demonstration zu beteiligen. Er hatte geglaubt, dass sie den Nahen Osten verachtete. Mit dem Plakat unterm Arm bog sie links in die Bay Ridge Avenue ein. Sie geht zur U-Bahn , dachte er. An der Ecke stach eine in Kopfhöhe angebrachte rote Schleife hell vom Stamm eines kahlen grauen Baumes ab. Omar Jussuf starrte die Schleife an. Hamsa hat gesagt, dass heute Valentinstag ist, erinnerte er sich. Ist Rania auf dem Weg zu einer propalästinensischen Demonstration, oder trifft sie sich mit ihrem Liebhaber?
Er humpelte auf seinem schmerzenden Knöchel die Treppe herunter und streifte sich den Mantel über. An der Ecke bog er in Richtung U-Bahn-Station ab und beeilte sich, um Rania einzuholen. Unterm sterilen Licht des Bahnsteigs nach Manhattan zog er sich die Strickmütze tiefer in die Stirn und passte sich der schlurfenden, müden Reglosigkeit der anderen Passagiere an. Im R-Zug zog er sich den Reißverschluss des Mantels bis über den Schnauzbart hoch und tat so, als döse er auf seinem Sitz. Rania saß ein paar Plätze von ihm entfernt. Sie presste sich das Plakat mit der bedruckten Seite gegen die Beine, als würde sie sich für die Parole schämen. Eine Locke schwarzen Haares quoll unterm Kopftuch hervor und fiel ihr über die Stirn. Sie wickelte sich die Locke um den Zeigefinger und lächelte verhalten. Im Zug war sie die einzige Person, die nicht
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