Der Attentaeter von Brooklyn
Tränen, die der Junge in der Küche vergossen hatte, bewiesen ihm, dass sein Sohn unter Schock stand. Er hielt es auch für möglich, dass Hamsa recht hatte – wenn er hier warten würde, käme Nisar vielleicht zu ihm. Im Schlafzimmer entdeckte er ein Backgammonbrett und überredete Ala, mit ihm zu spielen, bis der Junge so viele Partien nacheinander gewann, dass Omar Jussuf sich, ohne es zu wollen, darüber ärgerte, dass er dauernd verlor.
»Tut mir leid, Papa«, sagte Ala. »Ich hatte in letzter Zeit nicht viel zu tun, und so bin ich dann sehr gut im Sheysh-Beysh
Omar Jussuf sah, wie er die Teller abspülte. »Ist die Polizei im Schlafzimmer fertig?«
Sein Sohn schrubbte heftig an den Resten Hummus und Favabohnen- Fule herum, die auf den Tellern eingetrocknet waren. »Ich glaub schon. Sie haben die Leiche abtransportiert und im Zimmer ein Chaos hinterlassen.«
Omar Jussuf war schockiert. »Also, in diesem Zimmer –«
»Sei froh, dass nicht Sommer ist. Sonst gäb’s hier jetzt eine Menge Fliegen, Papa.«
Angesichts der Gleichgültigkeit seines Sohns schnappte Omar Jussuf nach Luft. »Wie willst du denn weiter in dieser Wohnung hausen, wenn noch das Blut deines Freundes überall im Schlafzimmer ist?«
Ala griff in eine schmutzige Kaffeetasse und schrubbte heftig am Kaffeesatz herum. »Ich bleibe nicht hier. Ich gehe heim nach Bethlehem, Papa. Die Frau, die ich geliebt habe, hat mich betrogen. Meine Freunde sind tot, oder der Knast wartet auf sie. New York ist zu hart für mich. Ich gehe zurück in den Nahen Osten.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Mit der israelischen Besatzung weiß man zumindest, woran man ist.«
Omar Jussuf schob seinen Sohn beiseite und kniete sich hin, um den Schrank unter der Spüle zu öffnen. Er holte einen Eimer, ein Paar Gummihandschuhe und eine Flasche Bodenreiniger heraus. Im Badezimmer füllte er den Eimer mit warmem Wasser und trug ihn zum Schlafzimmer.
Er stieß die Tür auf und hielt wegen des feuchten, nach Kupfer riechenden Gestanks im Zimmer die Luft an. Er ging zum Fenster und schob den alten Holzrahmen hoch, bis er sich quietschend einige Zentimeter vom Fensterbrett hob und frische, eiskalte Luft hereinließ. Das Blut hatte sich auf dem kalten Fußboden noch nicht zersetzt, und Omar Jussuf war froh, keine Verwesung riechen zu müssen. Er erinnerte sich an Orte in Bethlehem, an denen Menschen bei Schießereien getötet oder von einer Panzergranate zerfetzt worden waren und deren Blut an die Wände gespritzt oder als schwarze klebrige Lache in einer Ecke liegen geblieben war. Der durchdringende Geruch verwesenden Blutes war sogar noch im Freien widerlich. In diesem Zimmer wäre er unerträglich gewesen.
Er kniete sich hin und schrubbte heftig an den Blutspuren herum – teils auch, um sich warm zu halten, weil die kalte Luft durch den Fensterspalt drang, den er mühsam geöffnet hatte.
Omar Jussuf wrang den Putzlappen aus. Raschids Blut ergoss sich in den Eimer. In Bethlehem suchten ihn Albträume gewaltsamen Sterbens heim, hefteten sich an seine Schüler, wenn sie vom Unterricht durch Straßen, in denen die Märyterer-Brigaden auf die israelische Armee trafen, nach Hause gingen. Nicht einmal in diesen verstörenden Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass einer meiner kleinen Assassinen zum Opfer werden würde , dachte er.
Er setzte sich auf das zweite Bett und starrte durchs Zimmer auf die leere Stelle, an der die Leiche gelegen hatte. Dort musste Nisar viele schwierige Nächte verbracht haben, schlaflos und im Konflikt zwischen seinen religiösen Überzeugungen und seiner Sehnsucht nach Rania.
Omar Jussuf zog sich die Gummihandschuhe von den Fingern und strich über das Bücherregal am Fußende des Betts. Er zog den in braunes Kunstleder gebundenen Koran heraus und ließ ihn aufgeschlagen auf den Boden fallen. Der Rücken senkte sich, und die Seiten öffneten sich bei der dreizehnten Sure al-Rum . Omar Jussuf las zwei Sätze, die auf dem dünnen Papier mit dem Fingernagel markiert worden waren. »Er schuf euch Gefährtinnen aus eurer Mitte, auf dass ihr in Frieden mit ihnen zu leben vermögt, und pflanzte Liebe und Freundlichkeit in eure Herzen. Für nachdenkliche Männer mag dies gewiss als Zeichen dienen.« Er klappte das Buch zu.
Als er aus dem Schlafzimmer kam, ließ ihn die plötzliche Wärme im Wohnzimmer schwindeln. Er hielt sich die Hand vor die Augen, und der Koran fiel auf den Boden. Die Seiten blieben am gleichen Vers aufgeschlagen. Ala
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