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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Rosenstraße morgen auf einen Transport in den Osten gehen, die Züge stünden schon bereit. Carla fragte sich, woher diese Informationen stammten. Bisher war alles geheim abgelaufen, warum sollte sich das ausgerechnet jetzt ändern?
    Sie fühlte sich müde und ausgelaugt. Es zerrte an ihren Kräften, tagein, tagaus auf der Straße zu stehen und zu warten. Mit jeder Stunde schwand ihre Hoffnung ein bisschen mehr. Aufzugeben kam aber nicht infrage. Noch nicht.
    Sie hatte sich angewöhnt, in Bewegung zu bleiben, auf und ab zu gehen. Auf diese Weise war die Warterei nicht so eintönig, und die Zeit verging schneller. Sie stand gerade an der Kreuzung mit der Neuen Friedrichstraße, als sie den Schrei hörte.
    »Schaut!«
    Carla drehte sich um und sah, dass die Tür des Sammellagers offen stand. Was war da los? Sie rannte zurück zu den anderen Frauen. Es war still wie in einer Kirche. Alle starrten auf den Eingang. Der SS-Mann trat zur Seite.
    »Georg!«
    Eine Frau in einem dunkelgrünen Lodenmantel rannte auf den Mann zu. Nach einer kurzen, fast flüchtigen Umarmung gingen sie in Richtung Kaiser-Wilhelm-Straße davon. Die Frauen standen starr vor Überraschung. Erst als das Paar außer Sicht war, kam Bewegung in die Gruppe.
    »Was war das denn?«
    Niemand konnte sich einen Reim auf das Geschehen machen. Hatte die Frau besondere Beziehungen? War der Mann kein Jude und nur versehentlich festgenommen worden? Die Spekulationen schossen ins Kraut.
    Fünf Minuten später wurde die Eingangstür erneut geöffnet. Wieder trat ein einzelner Mann auf die Straße. Seine Kleidung war verschmutzt, ein Ärmel seines Mantels war zerrissen, und er hatte eine verschorfte Wunde über dem rechten Auge. Er schaute sich gehetzt um und blinzelte, als müsse er sich an die Helligkeit gewöhnen.
    Eine Frau schrie auf und rannte auf ihn zu. Der Mann nahm sie in den Arm. Die Frau brachte vor Schluchzen kein Wort heraus, und er strich ihr beruhigend übers Haar.
    Carla starrte wie gebannt auf diese Szene voller Glück und Angst zugleich. Als die beiden sich umdrehten und fortgehen wollten, löste sie sich aus ihrer Erstarrung.
    »Wartet!«
    Das Paar blieb erschrocken stehen.
    Carla ging über die Straße.
    »Kommen die anderen auch frei?«
    Der Mann knetete seine Mütze, die er die ganze Zeit in der Hand hielt.
    »Ich weiß es nicht. Sie überprüfen die Personalien und befragen jeden Einzelnen genau nach seinen Familienverhältnissen.«
    »Haben Sie Ihnen einen Grund für die Freilassung genannt?«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie meinen Mann getroffen? Kurt May. Haben Sie ihn gesehen?«
    »Nein.«
    Die Frau nahm den Arm ihres Mannes.
    »Nun lassen Sie Fritz doch endlich in Ruhe.«
    Mit energischen Schritten ging sie von Carla weg, ihren Mann hinter sich herziehend. Er drehte sich um.
    »Tut mir leid.«
     
    Schlagartig hatte sich die Stimmung auf der Straße geändert.
    »Sie lassen unsere Männer frei.«
    Was vor einer Stunde noch unmöglich schien, passierte anscheinend tatsächlich. Es hatte sich gelohnt, tagelang auszuharren. Sie hatten gewonnen.
    So schnell die gehobene Stimmung eingetreten war, so schnell machte sie Ernüchterung und Enttäuschung Platz, als keine weiteren Freigelassenen aus dem Haus traten. War es nur ein Strohfeuer gewesen? Wollte man sie dazu bringen, nach Hause zu gehen? Da hatten sie sich aber getäuscht. Auch wenn sie noch so froren, sie würden ausharren. Die in der letzten Stunde verstummten Rufe schallten wieder durch die Straße. Lauter als vorher riefen die Frauen die bekannten Parolen. Gegen die Kälte und gegen die Angst. Sie verstummten schlagartig, als die Tür erneut geöffnet wurde. Diesmal waren es drei Männer. Sie blieben einen Moment ratlos stehen, schauten sich an und gingen auf die Frauen zu. Offenbar wartete niemand auf sie. Der älteste der drei nahm seine Mütze vom Kopf und verneigte sich langsam und bedächtig. Als er den Kopf wieder hob, sagte er mit lauter und erstaunlich fester Stimme:
    »Danke. Danke euch allen.«

Zweiunddreißig
     
     
    »Uns fehlt ein überzeugendes Motiv, Ernst. Warum zum Teufel bringt jemand die Jüdin Martha Grahn um und zerstückelt sie anschließend? Wenn wir wissen, wer ein Motiv hat, das für eine solche Tat stark genug ist, haben wir auch den Täter.«
    Daut hielt sich an der Halteschlaufe fest, als Rösen den Wagen mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit in eine Kurve lenkte.
    »Nun mach mal langsam, es gibt schon genug Tote auf den Straßen, da

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