Der Aufgang Des Abendlandes
Reich Christi zugute. Und wie steht es mit Buddhismus und Brahmanismus, denen sich friedfertig ohne
Kriege dreimal größere Menschenmassen unterwarfen, und mit dem Islam, der sich in fortwährender Zunahme
befindet? Der Kameltreiber von Mekka lebt also auch noch, obschon er nicht sichtbar von den Toten auferstand! Solche Anrufung
gefälschter Geschichtsklitterung, weil die früher als historisch eingebläute »Offenbarung« nicht
mehr verfängt, zeigt das krampfhafte Bemühen, vom und für Pseudochristentum zu retten, was zu retten ist.
Rationalistische Reform einer völligen Vermenschlichung Christi und maßloser Übertreibung seines
äußerlichen Einflusses gebraucht die gleichen Trugschlüsse wie die Kirche nur in anderer Form. Nein, es
handelt sich nicht um seine Person, nur um seine Lehre. Hier sind wir freilich weit entfernt, heutige Anschauung zu teilen,
er sei im Milieu des Judentums befangen geblieben. Sein stetes Betonen, Himmelreich sei inwendig, genügt ihn von jeder
anthropomorphischen Vorstellung eines persönlichen Jehova freizusprechen. Indessen behalten wir bei ehrerbietiger
Würdigung seiner überlieferten Sprüche den Eindruck, daß wir Fragmentarisches vor uns haben,
Bruchstücke eines Baues, dessen Grundplan wir nicht überschauen. Unter solchen einzelnen Säulen und Simsen,
mögen sie noch so herrlich sein, kann man so wenig sicher schlafen wie in Ruinen eines hellenischen Tempels. Indische
Urweisheit dagegen steht, wie einer jener uralten Höhlentempel mit Elefantenreliefs und Götterskulpturen, als
Ganzes wohlerhalten vor uns da, geordnet und gesichert auf unzerbrechlichen Grundpfeilern divinatorischer Logik, auf dem
Fundament des Kausalgesetzes vom Karma. Hier kann der müde moderne Mensch vor den Stürmen des Schicksals, vor den
reißenden Wölfen mechanistischen Unglaubens Zuflucht finden, hier kann er Hütten bauen.
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In seinem Aufsatz über christliche Doktrin bestätigte der bedeutende Physiker Oliver Lodge, daß wahre
Wissenschaft nichts gegen Präexistenz einzuwenden habe. Sie vermute die Existenz einer höheren transzendentalen
Individualität, mit welcher das Genie am klarsten in Berührung stehe. Auch Christi Erscheinung sei nur als
Reinkarnation eines göttlichen Spirit erklärbar. Solange aber die Kirche mit allerlei Redensarten die
»historisch« völlig beweislose »Auferstehung« der Jesusseele in leiblicher Form (natürlich
konnte sie halluzinativ den Jüngern so erscheinen) nicht fallen läßt, wird der wahre sinnbildlich
transzendentale Sinn gröblich entstellt. Myers' »Subliminal Self« (unter der Grenze des Bewußtseins)
sucht eine Verbindung zwischen »übernormalen« Phänomenen und den natürlichen der gewöhnlichen
modernen Psychologie, muß aber zugeben »eine Fähigkeit wie das Erdenleben sie nicht gewährt«. Was
seine Gegner, die Professoren Stout und Mac Dougall, dagegen vorbringen, trifft nirgends den Kern und schiebt Dinge in dies
Subliminale hinein, die höchstens ins Unterbewußtsein (subconscious) gehören, wie das Vergessen und
plötzliche Wiederfinden von Worten, was sich freilich ganz gut mechanistisch erklären läßt. Der Begriff
Unterbewußtsein wird aber unnötig von Stout eingeschmuggelt, als ob schon alles, was man zeitweilig vergißt,
jenseits der Bewußtseinsschwelle läge, doch handelt's sich hier um reine Reaktionsstände des bewußten
Gehirnarbeitens, so wie eine Sehne oder Muskel zeitweilig den Dienst versagt aus rein physischer Ursache. Auch wenn Andrew
Lang zwei subliminale Selbst unterscheidet, ein begrenztes und ein unbegrenztes, welche beiden Myers Definitionen angeblich
verwechseln, so wäre dies nur ein Spiel mit Worten. Doch er folgert daraus mit Recht, daß die von Myers versuchte
Verbindungskette zwischen dem gewöhnlichen Bewußtsein und dem »Unbewußten« (denn es läuft
im Grunde auf Hartmanns und schon Hegels Definition hinaus) nicht haltbar sei. Myers wie mancher andere Wissenschaftler hat
eine Heidenangst davor, sich von Spezialisten als Mystiker verlästern zu lassen. Er verwirrt sich nicht, weil er zu
wenig, sondern weil er zu viel Rücksicht auf »gewöhnliche Psychologie« nimmt. Komischerweise sind aber
seine Gegner gezwungen, selber zu abstrusen Phantasien ihre Zuflucht zu nehmen, so wie Stout behauptet, daß
Bewußtes und Unbewußtes in ständigem Konnex stehen, »bewußte Aktivität appelliert sozusagen
immer an etwas anderes«. Ein Konnex mit freilich sehr langem Kabel
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