Der Aufgang Des Abendlandes
bezüglich angeblichen Absterbens alles
Organischen (reine Hypothese, da die Mondbewohner gänzlich andere Lebensbedingungen haben können als die
Erdbewohner), wäre doch auch nur Trugschluß, da aus zerstörten Planeten dann der Stoff sich zu andern
Äthererscheinungen zusammenfügen würde. Endlich kann nichts sein als alle äußern Formen. Selbst das
Erdenleben kann man nicht als endlich betrachten, denn wenn Vereisung jede bisherige Lebensform erstickt, so bleibt bis auf
Gegenbeweis wahrscheinlich, daß das »unsterbliche Lebensprinzip« sich sogar auf der Erde selber andere
Bedingungen schafft oder wenigstens sich auf andere Planeten überträgt. Die Energetik der Elektronen bleibt jeder
Endlichkeit entrückt und würde eben andere Materialisierung suchen oder stofflos weiterbestehen, soweit von
Stofflosigkeit im unendlichen Wirbel der Atome geredet werden kann.
Nun steht aber erfahrungsgemäß fest, daß jeder Mensch so lebt, als ob er immerfort so leben wolle und an
seinem Aufhören zweifle. Sollte dies elementare Gefühl nicht bedeuten, daß das Leben sich unbewußt als
unendlich empfindet? Zeit und Raum sind Notbegriffe, damit das Leben denken, fühlen, handeln könne. Unendlichkeit
aber desgleichen, um ein für jede Weltanschauung nötiges All zu bauen. Da sie »Zeit und Raum« in sich
umfaßt, sind letztere nur Funktionen und tragen daher nach unabweislichem Gesetz als Teile die gleiche Unendlichkeit in
sich wie das Ganze. Insbesondere sind sie Urfunktionen der Kausalität, welche identisch mit der Weltbewegung, daher ohne
Anfang und Ende wie das All selber. Durchdenken wir reiflich diesen Syllogismus, so bleibt nichts mehr übrig, was wir
als endlich (finite) bezeichnen könnten, Unendlichkeit und Ewigkeit (zwei Namen für das gleiche) sind das wahre
Wesen der Dinge. Nicht nur das Leben als Allgemeinbegriff, sondern alles, was sich in Zeit und Raum bewegt, jedes Atom und
jedes Aggregat von Atomen haben Möglichkeit und Fähigkeit unendlicher Ausdehnung. Tatsächlich kann selbst das
einfachste Denken sich Zeit und Raum nicht begrenzt (endlich) vorstellen. Denn hinter dem für das Einzel-Ich
verrechneten Zeit-Raum vermutet und erkennt das Ich unendliche andere Zeiten und Räume. »Zeitraum«
faßt die deutsche Sprache ahnungsvoll beides zusammen, obwohl naive Wahrnehmung Zeit und Raum als etwas Verschiedenes
auffaßt: Zeit und Raum sind aber ein und dasselbe, nicht sie sind wirklich vorhanden, sondern immer nur die
Unendlichkeit, bei welcher Zeit und Raum in eins zusammenfallen. Der müßige Streit, ob Zeit- und Raumbegriff
»erworben« oder »angeboren« – für den Karmadenker gibt es solchen Unterschied, auf dem
wesentlich das Trugbild äußerer Evolution beruht, überhaupt nicht–, löst sich dahin auf, daß
lediglich der Begriff Unendlichkeit apriorisch mit dem Leben zugleich erscheint und erst aus ihm heraus das Lebende sich zum
Eigenschutz eine Begrenzung schafft, das begrenzte Ich einen für das Ich begrenzten Zeit-Raum. Man kann so weit gehen:
Das Denken kann die Wesenheit von Zeit und Raum als Illusion durchschauen, wie es Kant endgültig festlegte, doch nie
bezweifelte es ja die Unendlichkeit. Diese ist daher das einzig Positive und Wesenhafte, das subliminale Selbst fühlt
apriorisch in sich die Fähigkeit unendlicher Ausdehnung, also die unbedingte Unsterblichkeit. Des Kindes Wachstum geht
Hand in Hand mit der Wahrnehmung, daß es außer Papa und Mama noch Unendlich-Vieles gebe. Wenn es von Stufe zu
Stufe klarer zeitlich und räumlich auffassen lernt, so beruht dies nur auf dem Urbegriff des Unendlich-Vielen. Dieser
Ursprung alles Denkens kann daher auch nur Ursprung des Religiösen sein.
Der Anglodeutsche F. C. Schiller (Oxford) nennt seine Philosophie »Pragmatism« oder »Humanism«. Er
erhebt dabei Einwendungen gegen das »Absolute«, für uns ein Windmühlengefecht um Namen. Denn Absolutes
und Ursubstanz Spinozas sind nur Schulbegriffe wie »Ding-an-sich, letzter zureichender Grund«, die für das
gewöhnliche Denken (ohne intuitive Illuminatio) faßlich und verständlich sein sollen. Wir ergänzen aus
anderer Richtung mit verhaltener Ironie: natürlich gibt es kein Absolutes, weil dies einen Gegensatz von Nicht-Absolutem
oder Relativ-Konkretem voraussetzt, in der Unendlichkeit aber alles absolut ist, nichts relativ, die gleiche Erscheinungsform
vom »Höchsten« bis zum »Geringsten«. Aus gleichem Urgründe gibt es auch keine Ursubstanz,
was
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